Die letzten Aufrechten

Israels Friedensbewegung wird immer kleiner. Angesichts palästinensischer Selbstmordanschläge mag sich kaum noch jemand für eine Verständigung einsetzen

JERUSALEM taz ■ Es sollte eine Massendemonstration werden, doch dann kamen wieder nur ein paar hundert. Mit Schildern wie „Ja zum Frieden, nein zur Besatzung“ und „Hände weg vom Orient-Haus“ protestierten in der vergangenen Woche die letzten israelischen Friedensaktivisten gemeinsam mit ihren palästinensischen Freunden gegen die jüngsten Maßnahmen der israelischen Regierung. „Wir sind wirklich nicht sehr viele“, gesteht Mitorganisatorin Debbie Lehrmann von der „Koalition der Frauen für den Frieden“ ein.

Ob in Ostjerusalem oder Mitten in Tel Aviv: In diesen Monaten sind kaum noch jene Massen zu mobilisieren, die einst Jitzhak Rabin und seinen Weg zum Frieden bejubelten. Von den über 50.000 Demonstranten, die damals die Ermordung des Premierministers im Zentrum von Tel Aviv durch den jüdischen Extremisten Jigal Amir miterlebten, ist nur noch ein kleiner Rest übrig geblieben. Der harte Kern mit höchstens 5.000 Aktivisten, die sich nicht unterkriegen lassen, sondern unbeirrbar gegen die Besatzung im Westjordanland und im Gaza-Streifen kämpfen.

„Was im Oktober 2000 geschah, ist nicht nur der Kollaps der Osloer Strategie“, schreibt Ari Shavit in der liberalen Tageszeitung Ha’aretz. Was hier passiert, sei „der Kollaps der gesamten israelischen Kultur“. Shavit schreibt über das „autozentrische Weltbild“ der Linken, dem der Gedanke zugrunde lag, dass die Besatzung der palästinensischen Gebiete seit 1967 der zentrale Punkt des Konfliktes ist. Beende man die Besatzung, werde auch der Konflikt gelöst sein. Dieser Annahme folgend machte die Linke die politische Rechte und vor allem die Siedlerbewegung zum Hauptschuldigen. Gleichzeitig ignorierte sie sämtliche palästinensischen Positionen, die sich nicht unmittelbar auf die Besatzung bezogen.

Sich dieses Fehlers offenbar bewusst, veröffentlichte „Gusch Schalom“ (Friedensblock) kürzlich den „Entwurf eines Friedensvertrages“. Darin steht das Ende der Besatzung zwar gleich am Anfang, dennoch wird Problemen wie dem künftigen Status von Jerusalem und der Flüchtlingsfrage insgesamt deutlich mehr Raum gewidmet. An diesen beiden Punkten waren die Friedensverhandlungen in Camp David vor gut einem Jahr gescheitert. Mit einer ganzseitigen Anzeige in Ha’aretz appelliert Gusch Schalom an alle friedensbewegten Kräfte, die Regierung, die „uns in eine Hölle von Blut und Feuer führt“, aufzuhalten. Der Entwurf der Friedensaktivisten sieht die Evakuierung aller jüdischen Siedler und den kompletten Abzug der israelischen Armee aus dem palästinensischen Gebiet bis zu den Grenzen von 1967 vor. Ostjerusalem und der Tempelberg sollen zum künftigen Staat Palästina gehören. Zugleich erkennt Israel das „Rückkehrrecht als ein grundlegendes Menschenrecht“ an.

Derartige Forderungen mögen bis vor einem Jahr noch auf breite Zustimmung im linken politischen Lager gestoßen sein. Inzwischen macht sich neben der Angst vor dem palästinensischen Terror zunehmend auch das Gefühl breit, ein „Freier“ (hebräisches Wort für jemanden, der sich ausnutzen lässt) zu sein, nachdem die israelischen Kompromissvorschläge in Camp David abgelehnt wurden. Mit dem Ausbruch einer neuen Intifada sei klar geworden, so schreibt Ari Shavit, dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat „nicht an einer Versöhnung mit Israel interessiert ist, sondern an einem Sieg über Israel“.

Die meisten Israelis sehen derzeit keinen Ausweg aus der Situation und damit auch keinen Sinn, sich friedenspolitisch zu engagieren. Umgekehrt entstanden gerade infolge der veränderten Situation eine ganze Reihe neuer Initiativen, wie „Der Campus wird nicht schweigen“ oder die „Rabbiner für Menschenrechte“, die regelmäßig Nahrungsmittel und Kleidung in palästinensische Flüchtlingslager bringen.

„Wenn wir nicht miteinander reden, geraten wir in einen Teufelskreis von immer mehr Frustration und Gewalt“, meint Debbie Lehrman. „Früher oder später werden die Leute verstehen, dass [Premierminister Ariel] Scharon nicht die Lösung bringt, und dann werden sie zu uns zurückkehren.“ SUSANNE KNAUL