Serbiens Regierung vor dem Sturz

Die Demokratische Partei Serbiens von Präsident Vojislav Koštunica droht der Regierung in Belgrad mit einem Misstrauensvotum. Damit ist der Machtkampf zwischen Regierungschef Zoran Djindjić und Kostunica jetzt offen ausgebrochen

von KARL GERSUNY

Der schwelende Machtkampf innerhalb der serbischen Mehrparteienregierung erreichte am Wochenende seinen vorläufigen Höhepunkt. Die Partei des jugoslawischen Präsidenten Vojislav Koštunica will mit einem Misstrauensvotum den amtierenden Regierungschef Zoran Djindjić zu Fall bringen und vorgezogene Neuwahlen provozieren. Das Regierungsbündnis DOS, ein Sammelsurium aus politisch extrem heterogenen Parteien und Bewegungen, stand seit dem Sturz des serbischen Diktators Slobodan Milošević im vergangenen Herbst mehrmals vor ernsten Querelen, doch nie so dicht vor seiner Auflösung. Der Schritt von Koštunicas Demokratischer Partei Serbiens (DSS), dem Koalitionspartner Djindjić von der Demokratischen Partei (DS) offen das Misstrauen auszusprechen, ist selbst für osteuropäische Verhältnisse ein Novum.

Hintergrund des Machtkampfs ist die Ermordung des hohen Geheimdienstbeamten Momir Gavrilović am 3. August auf einem Parkplatz in der John-Kennedy-Straße in Novi Belgrad. Gavrilović hatte 17 Jahre für das serbische Innenministerium gearbeitet, einige Zeit sogar als Chef eines Milošević direkt unterstellten Inlandgeheimdienstes. Diese Spitzenfunktion soll der Ermordete aber nur bis zum August 1999 innegehabt haben, dann habe er sich vom alten Regime gelöst und Koštunicas Partei angeschlossen. Nur wenige Stunden vor seinem Tod hatte der frühere Geheimdienstchef – das enthüllte kürzlich das Boulevard-Blatt Blic – seinen Freund Koštunica im Präsidentenpalast besucht und höchst brisante Unterlagen überbracht. Diese Papiere sollen eine enge Verfilzung zwischen Akteuren der Unterwelt und amtierenden DOS-Politikern belegen.

Die vermeintliche Enthüllung löste unter der serbischen Bevölkerung großes Aufsehen aus. Die Vetternwirtschaft zwischen Politik und organisierter Kriminalität hatte in der Ära Milošević das Land in den finanziellen und moralischen Ruin getrieben – und den Machtwechsel überhaupt bewirkt. Auch heute herrschen in Belgrad Verhältnisse wie in einer Stadt der so genannten Dritten Welt, wo sich eine schmale Schicht jeden Luxus leistet, das Gros der Menschen jedoch in bitterster Armut lebt. Politiker, die sich dem Kampf gegen Korruption verschreiben, genießen daher große Popularität.

Koštunica wie Djindjić versuchen sich seit langem im Kampf gegen die Korruption zu übertrumpfen und dem jeweils anderen die Schuld an Misswirtschaft und mangelnder Verbrechensbekämpfung in die Schuhe zu schieben. So bestätigte Koštunica die Enthüllungsgeschichte aus Blic und attestierte der Zeitung, mit ihren Berichten über die Hintergründe des Mordes richtig reagiert zu haben. Man dürfe die Augen vor der Kriminalität nicht verschließen, die Anzahl unaufgeklärter Morde und Entführungen steige. Dem müsse der Staat einen Riegel vorschieben, wenn er überleben wolle, sagte Koštunica im staatlichen Fernsehen.

Djindjić’ Parteifreunde konterten. Solange Leute aus Koštunicas Umgebung gegen das „mafiose Unheil“ mit Aufsehen erregenden Medienberichten vorgingen, sei keine Besserung in Sicht. Warum habe sich das Büro des Präsidenten mit den heißen Unterlagen nicht direkt an die Untersuchungsbehörden gewandt, fragte ein DS-Funktionär.

Der Regierungschef warnte am Wochenende vor einem Rückzug der DSS aus dem Regierungsbündnis DOS, „weil damit alle politischen Errungenschaften der Allianz zunichte gemacht werden“. Der Zerfall der DOS könne das Ende für die Regierungen der Bundesrepublik Jugoslawien und ihrer Teilrepublik Serbien bedeuten, erklärte Djindjić gegenüber Blic. Dem TV-Sender Studio B erklärte er: „Ich kann guten Gewissens sagen, dass wir die am wenigsten korrupte Regierung in Europa haben.“

Doch all diese Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen: Der offene Machtkampf zwischen Djindjić und Koštunica, aber auch kleinere Spannungen in der DOS-Regierung sind nicht mehr zu glätten.

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