krise in japan
: Ende eines Großmachttraums

Die Aktienkurse in Tokio sinken unaufhörlich. Auch die Macht der Regierungspartei ist in Gefahr – wieder. Als zu Beginn der Neunzigerjahre in Japan die Spekulationsblase platzte und die Aktienkurse abstürzten, verloren die Liberaldemokraten (LDP), die ewige Regierungspartei in Tokio, schon einmal die Macht an einen Hoffnungsträger. Doch Morihiro Hosokawa, so hieß damals der Premier, hielt sich nicht lange. Als zu groß erwiesen sich die Selbstbeharrungskräfte der japanischen Gesellschaft, oder, weniger wohlwollend ausgedrückt: Hosokawa schaffte es damals nicht, den Wählern klarzumachen, wie das Land aus der Krise kommen könne – nämlich indem die herrschende Kaste aus Politikern, Beamten und Wirtschaftsbossen überhaupt Fehler einräumt. Zu sehr hatte sich die japanische Gesellschaft in den Traum hineingesteigert, dass ihre Wirtschaft ohne Ende wachsen würde, um selbst den USA die Vorherrschaft streitig zu machen.

Kommentarvon DIETMAR BARTZ

Der Traum ist aus, seit zehn Jahren schon, aber als reformfähig hat sich Japan seither noch nicht gezeigt. Der Hoffnungsträger Junichiro Koizumi steht vor einem doppelten Problem. Zwingt er die Banken tatsächlich dazu, ihre faulen Kredite abzuschreiben, wird eine Pleitewelle folgen: Sehr viel mehr Menschen als bisher werden die Krise spüren. Aber nicht nur mit den Bankern muss sich Koizumi anlegen, sondern auch mit seiner Partei. Bislang dienten die Konjunkturprogramme der Regierung immer auch unmittelbar dem Machterhalt der LDP. Denn die damit finanzierten Infrastrukturmaßnahmen kamen überwiegend dem ländlichen Raum zugute, in dem die LDP bis heute die wichtigste politische Macht ist.

Jetzt ist der Zeitpunkt erreicht, an dem sich die Reformen nicht mehr weiter aufschieben lassen: Der Staat ist fast pleite, und die Aktienkurse fallen weiter. Um in Stadt und Land politisch zu überleben, kann Koizumi nur darauf verweisen, dass er sowohl die Stadt – die Banken – als auch das Land – die Partei – in die Pflicht nehmen will.

Voraussetzung dafür ist aber, dass er der japanischen Gesellschaft das Eingeständnis abverlangt, dass das Land ökonomisch nur mehr eine Mittelmacht ist. Das hat sich bisher noch kein Premier getraut – und wenn ihm die Wähler an diesem Punkt die Gefolgschaft verweigern, ist es Zeit für einen neuen Reformer nach Koizumi. Der aber wird dann sicherlich nicht mehr von den Liberaldemokraten gestellt werden.

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