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Der bewegte Fliesenleger

Überblendungen im Auge des Betrachters: Die Foto-Triennale in der Villa Merkel in Esslingen zeigt, wie in der zeitgenössischen Kunst die Grenzen zwischen Foto und Film allmählich verschwimmen

von GABRIELE HOFFMANN

Man sollte meinen, mit der digitalen Bildbearbeitung habe die Fotografie ihren Status als Medium der unverfälschten Wirklichkeitsabbildung endgültig eingebüßt. Doch das Wissen um mögliche Bildmanipulation hat den Massenkonsum von Bildreportagen nicht bremsen können. Parallel dazu hat seit den späten Neunzigerjahren eine junge Künstlergeneration damit begonnen, die Fotografie in ihrer Nähe zur realen Umwelt neu zu entdecken. Die fünfte Foto-Triennale in Esslingen mit dem Titel „Moving Pictures“ führt vor, mit welcher Selbstverständlichkeit heute alle Möglichkeiten des Transfers von Bilddaten genutzt werden, um im Grenzbereich von Film und Fotografie die Wirklichkeit gemäß ihrem wachsenden Anteil an Virtualität darzustellen.

Doug Aitken hat 1999 in Venedig den „Premio Internazionale“-Preis für sein Porträt des Tänzers Ali „Giggi“ Johnson gewonnen, das in einer Multiscreen-Videoinstallation präsentiert wurde. In Esslingen zeigt er ein sehr viel zurückgenommeneres Triptychon aus C-Prints, auf dem dreimal der linke Flügel eines Jets zu sehen ist, in zunehmender Schärfe und Bläue. Der Titel „turbulence“ verweist auf den Grund für die Veränderungen zwischen den Aufnahmen, auf das Abflauen einer Turbulenz.

Auch seine Kollegin Sharon Lockhart aus Los Angeles verwendet in der quasifilmischen Dokumentation „Enrique Nava Enedina“ eine Folge von C-Prints: Sie zeigen einen Fliesenleger bei der Arbeit auf dem Boden des Nationalmuseums für Anthropologie in Mexiko-Stadt. Glasscheiben trennen ihn vom übrigen Raum, er wird selbst zum Anschauungsobjekt, das sich von den Exponaten einer Vitrine im Hintergrund nur durch die von Bild zu Bild wechselnde Körperhaltung und den auf die Kamera gerichteten Blick unterscheidet. Und Kathrin Günter, eine der Jüngsten bei der Triennale, mischt sich mit brillant inszenierten Selbstporträts in der Doppelrolle als Star und Paparazza unter die Filmstill-Produzenten.

„Das Kino ist tot“, sagt der Cineast Douglas Gordon, der nicht müde wird, das Totgesagte zu plündern und in Videoinstallationen nach allen Regeln der Kunst zu reaktivieren. Sein Beitrag ist eine S/W-Fotografie – der Autor als „Psycho-Hitchhiker“ an einem verwaisten Highway. Ganz filmisch und doch weit entfernt vom Kinofilm, greift die 1969 in Stuttgart geborene Heike Aumüller in den Diskurs um das bewegte Bild ein. „Zellglas“ nennt sie das, was ein mit Plastikhäuten aneinander gekettetes Zwillingspaar macht, wenn es durch den Raum hoppelt, mühsam seine Bewegungen koordinierend bis zur Erschöpfung. Um die Simulation von Filmstills geht es dagegen bei Barbara Probst, die einen Springer auf einem New Yorker Hochhausdach von Kameras aus unterschiedlichen Blickwinkeln dokumentiert. Eingekreist von den großformatigen digitalen Drucken unterliegt man der Versuchung, aus den einzeln festgehaltenen Momenten einen Actionfilm zu rekonstruieren.

Die Unmöglichkeit, durch Scharfeinstellung der Wirklichkeit näher zu kommen, darum geht es in einem Zwanzig-Minuten-Video der Berlinerin Gabriele Worgitzki. Eine auf die rotierende Spitze des Royal-Crown-Towers von Winnipeg montierte Lochkamera macht zweimal hintereinander einen Schwenk von 360 Grad. In der Videoprojektion erscheinen die digital verbundenen Fotografien mit ihren extrem langsamen Überblendungen wie ein von Gerhard Richter gemaltes Panoramabild, Musik verstärkt den optischen Eindruck des Ineinandergleitens.

Vor allem aber Mariko Moris Ansicht der Pyramiden von Gizeh dürft die Besucher der Triennale in Esslingen faszinieren, aus zwei Gründen: wegen ihrer ultimativen Schärfe und wegen der märchenhaften Selbstinszenierung der Japanerin in einem gläsernen Sarg. Bei der Dreikanal-Videoinstallation von Friederike Jürss gibt der Titel „You Never Know the Whole Story“ die Fährte des Sehens vor: Hier und da ein Augenzucken – dieser winzige Rest an Bewegung genügt als Anreiz, die Standbilder mit den aus nächster Nähe fotografierten Maskierten aus ihrem Filmschlaf zu erwecken. Am Ende erwacht man selbst und erschrickt über die eigene Storygläubigkeit.

Diese Fototriennale trägt, wie schon die drei vorhergehenden, die Handschrift von Renate Wiehager: Es sind Künstler wie Isabell Heimerdinger oder Georg Winters „forschungsgruppe_f“ beteiligt, die mit einer Einzelausstellung in der Esslinger Villa Merkel oder im Bahnwärterhaus in die überregionale Kunstszene starteten. Andere, wie Johannes Kahr, Kolpa Apda oder Markus Huemer, fordern mit ihren Filmadaptionen ein cineastisch gebildetes Publikum. Bei Roman Signers „Überfliegen der Zeitung“ ist der Fall klar. Der mit einer Videokamera ausgerüstete Modellhelikopter und die im Foyer der Villa Merkel ausgebreitete Tageszeitung Philadelphia Inquirer stehen im Zentrum einer Aktion, die man auf dem Monitor verfolgen kann. An den Wänden hängt Filmausschuss, zu Digitalprints verarbeitete schöne „Störbilder“.

„Moving Pictures“, bis zum 23. September in Esslingen. www.villa-merkel.de

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