„Kein Einsatz ohne Risiko“

Der einstige SPD-Abweichler und Rüstungskritiker Erhard Eppler will mit den Gegnern des Mazedonien-Einsatzes in seiner Partei nichts zu tun haben

Interview GEORG LÖWISCH

taz: Herr Eppler, Sie haben sich in der Friedensbewegung der 80er-Jahre gegen die Mehrheit in ihrer Partei und Kanzler Helmut Schmidt gestellt. Zurzeit stellen sich 30 SPD-Abgeordnete in der Bundestagsfraktion gegen Gerhard Schröder und einen Mazedonien-Einsatz deutscher Soldaten. Sind das Ihre Erben?

Erhard Eppler: Auf gar keinen Fall. Man darf diese Abweichler nicht mit der Friedensbewegung der 80er verwechseln, das sind zwei Paar Stiefel.

Warum? Auch die SPD-Abgeordneten berufen sich auf pazifistische Motive und die Unkontrollierbarkeit eines Gewaltpotenzials.

Damals standen sich zwei bis an die Zähne bewaffnete Blöcke gegenüber. Jeder konnte den anderen mehrfach auslöschen. Die Friedensbewegung hat gesagt: Wir haben die Nase voll von einer Rüstungsspirale, bei der jeder das, was er selber tut, für Nachrüstung, und das, was der andere tut, für Vorrüstung hält. Der Unsinn musste bei denen ein Ende haben, die die Stärkeren waren. Und der Westen war stärker. Heute geht es darum: Wie kann eine entstaatlichte, privatisierte Gewalt daran gehindert werden, ganze Länder ins Chaos zu stürzen?

Privatisiert?

Das 20. Jahrhundert war das Jahrhundert überbordender staatlicher Gewalt. Nehmen sie die Weltkriege, die Totalitarismen. Dagegen dürfte das 21. Jahrhundert von kommerzialisierter, privatisierter Gewalt geprägt sein. Deshalb wird eine Armee wie die Bundeswehr vermutlich nie mehr gegen eine ähnlich strukturierte Armee kämpfen. Sie wird es immer mit entstaatlichter und mehr oder weniger privatisierter Gewalt zu tun haben.

Passt die Beschreibung nicht eher auf Kriegsherren im Kongo-Konflikt oder in Somalia, denen der Krieg zum Beruf geworden ist?

Auch die UÇK kann sich einfach am Waffenmarkt versorgen, und der boomt.

Aber die UÇK-Kämpfer haben auch politische Ziele.

Sicher. Aber auch die UÇK dürfen Sie nicht mit Befreiungsbewegungen in Asien oder Lateinamerika in den 70er-Jahren verwechseln – auch wenn sie noch näher an ihnen dran ist als Warlords im Kongo oder Piraten in Asien. Aber bei der UÇK finden Sie eben auch die heute typische Mischung aus nationalem und religiösem Fanatismus mit schlichter Kriminalität.

Das hört sich an wie die UÇK-Beschreibung eines mazedonischen Regierungssprechers.

Viele UÇK-Kämpfer, die sich in der Befreiungstradition sehen, sind sicher redliche Patrioten. Aber nicht alle.

Ergeben sich nicht gerade aus dieser Mischung die Risiken, die die Gegner der Nato-Mission anführen?

Einen risikolosen Einsatz gibt es nicht. Leben ist immer lebensgefährlich. Aber man kann heute noch der politischen UÇK entgegenkommen und die Bewaffnung beenden. Wenn das Morden noch einige Jahre weitergeht, wird der terroristisch-kriminelle Teil so verstärkt, dass nie ein Abkommen erzielt werden kann. Jedenfalls keines, das befolgt wird.

1999 traten Sie auf dem SPD-Sonderparteitag für den Kosovo-Einsatz ein. So oder so müsse die SPD schuldig werden. Ist das bei Mazedonien wieder so?

Schuldig werden kann man immer. Aber man muss es nicht. Die Aufgabe, Waffen einzusammeln, macht niemanden schuldig. Die Frage ist, ob das so glatt geht.

Die SPD-Abweichler bestreiten dies.

Aber die Chance, die Gewalt unblutig zu beenden, ist wesentlich größer als in zwei oder drei Jahren.

Der Bundeskanzler pocht auf die „Bündnissolidarität“, die Staatsraison sei. Halten Sie das für überzeugend?

Ich halte das Argument für wichtig, allerdings nicht immer für durchschlagend. Nicht alles, was im Interesse der Nato-Partner liegt, liegt im Interesse unseres Landes. Aber bei Mazedonien zu sagen: Jetzt sollen lieber erst mal die Briten hingehen, weil es doch gefährlich werden könnte, ist keine übermäßig moralische Position.

Obwohl Sie für die Argumente der SPD-Abweichler nichts übrig haben, so müssen Sie doch aus eigener Erfahrung nachempfinden können, wie jetzt versucht wird, sie zu überreden. Wie läuft so etwas ab?

Da gibt es zunächst in der Fraktionssitzung eine Diskussion. Da machen die Abweichler eine gute, eine mittlere oder eine schlechte Figur. Wenn sie eine schlechte Figur machen, dann springen häufig einige ab.

Das hört sich an wie aus dem Demokratie-Lehrbuch. Die Fraktionschefs üben keinen Druck aus?

Es gibt natürlich Gespräche. Aber oft sprechen einen da eher die persönlichen Freunde an, die nun auf der anderen Seite stehen. So eine Fraktion ist ein Geflecht von Beziehungen und Macht. Die Führung selbst ist wahrscheinlich gar nicht in der Lage, jeden ins Gebet zu nehmen.

Wo hört legitime Überzeugungsarbeit auf und wo fängt illegitimer Druck an?

Wenn zum Beispiel jemand gesagt bekommt: Du musst das und das tun, sonst kommst du bei der nächsten Wahl nicht mehr auf die Landesliste unserer Partei.

Ist so was üblich?

Mir ist das nie passiert. Ich kann aber nicht bestreiten, dass so was vorkommt.

Sie lagen ja öfter mit Helmut Schmidt über Kreuz.

Das kann man sagen.

Was ist das für ein Gefühl als Abgeordneter?

Ein mindestens angelernter Sozialdemokrat hat da kein gutes Gefühl. Man ist in einer Spannung zwischen Loyalität und eigener Identität.

Gegen die eigene Identität steht die so genannte Fraktionsdisziplin: Bloß nicht aus der Mehrheit ausbrechen.

Der normale Abgeordnete kennt sich bestenfalls auf zwei Gebieten aus. Auf allen anderen Gebieten muss er sich auf den Sachverstand der anderen verlassen, wenn er keine schwerwiegenden Bedenken hat. Ich hätte nie gegen ein Sozialgesetz meiner Fraktion gestimmt, weil ich da nicht fachkundig genug war.

Jetzt klingen Sie wie Ex-CDU-Chef Wolfgang Schäuble. Nicht jeder Abgeordnete könne ein halber Außenminister sein, hat der gesagt, und will die Zustimmungspflicht des Parlaments zu Auslandseinsätzen abschaffen.

Das würde der zerstrittenen CDU so passen. Dann könnte man gleich alle Abstimmungen abschaffen. Es ist zwar üblich, dass in Demokratien die Außenpolitik Sache der Regierung ist. Aber trotzdem wäre eine Abschaffung der Zustimmungspflicht im Moment das falsche Signal. Das sähe aus, als ob sich das Parlament aus der Verantwortung stiehlt.