Generation U

■ Kleine Erzählung über Liebe und McJobs: Kaze Shindos Love/Juice im 3001

War das Leben, das vor gar nicht allzu langer Zeit einer fiktiven „Generation X“ angedichtet wurde, eigentlich mehr als eine Wunschprojektion jungerwachsener Mittelstandskinder? Die Abkehr vom Wertekanon funktionierte dadurch, dass man vorgab, man interessiere sich nur für sich selbst. Dabei amüsierte man sich gleichzeitig königlich über die Details einer höchst ausdifferenzierten Warenwelt. Aber der Sinn, den man im Großen und Ganzen nicht mehr finden zu können glaubte, begegnete einem dann doch wieder im Kleinen und Einzelnen. So wollten es zumindest die unzähligen Bücher und Filme, in denen sich die Vertreter dieser Generation tummelten.

So will es auch die 23-jährige Kaze Shindo in ihrem Debütfilm Love/Juice, den man „damals“ wahrscheinlich als „Slacker-Film“ bezeichnet hätte. Kyoko und Chinatsu wohnen in einem winzigen Häuschen in der Tokyoter Vorstadt. Zusammen schlafen sie in einem Einzelbett, gehen abends gemeinsam aus und haben denselben McJob par excellènce: als Bunny-Girls in einem Nachtclub. Wir sehen sie beim Essen, auf dem Klo, bei der Langeweile. Als Zeichen ihrer Freundschaft schenkt Chinatsu ihrer Freundin ein Paar Goldfische. Aber Kyoko vergisst, sie zu füttern und träumt von einem Piranha, der in der örtlichen Aquarienhandlung Goldfische zum Frühstück verspeist. Ihre Faszination für solche Grausamkeiten mag sie auch dazu führen, sich in den Besitzer dieses Geschäfts zu verlieben, einen jungen Mann, der ihre Avancen nicht mal mit einem Zucken der Augenbraue quittiert.

Das „X“ als unbekannte Größe, das jener Generation angehängt wurde, wird hier ganz von Kyoko verkörpert, die eine Art Normjugendliche ist. Hübsch, hip, heterosexuell, bleibt ihr einziger Ehrgeiz, das „X“ zu einem „U“ zu machen: Drogen nehmen, sich verlieben, Unsinn treiben. Chinatsu dagegen wird immer wieder mit beiden Füßen auf den Boden zurückgeworfen: Sie steht auf Frauen und hasst es, selbst eine zu sein. Und sie verliebt sich in Kyoko. Und, ganz klar, aus Langeweile macht Kyoko das Spiel mit und wird ihrer Freundin eine weitere Verletzung zufügen.

Regisseurin Shindo hatte sicher nicht vor, irgendeine Variable „X“ zu bestimmen. Ihr Film ist eine kleine Erzählung über Liebe und Freundschaft, und man muss erwähnen, dass sie dafür nur zwei Monate Zeit hatte – vom Drehbuch bis zum Schnitt. Da kann man nicht viel herumfeilen, sondern muss sich in die Geschichte stürzen. Eine Symbolik wie die zwei Goldfische im Glas hat die Enkelin des Regisseurs Kaneto Shindo aber gar nicht nötig. Die Intimität, die zu den Darstellerinnen entsteht, indem die Kamera Gesten oder Blicke oder Berührungen einfängt, vermag die Geschichte durchaus zu tragen. Sie ist auf jeden Fall die Stärke dieses Films, der am schönsten ist, wenn er nicht versucht, allzu originell zu sein und seine Protagonistinnen die Goldfische im Einkaufswagen Gassi führen lässt. Oder allzu dras-tisch, wenn Chinatsu vom Barkeeper des Nachtclubs vergewaltigt wird, was hier thematisch nicht mehr Raum bekommt: Dies ist eine Anekdote unter anderen.

Immerhin ist es erleichternd zu sehen, dass die Typen ihre Ziegenbärte inzwischen alle abrasiert haben. Dirk Schneider

tägl. 20.30 Uhr, 3001