Die Stadt als Spielball

Sommerloch (6): Immer dienstags zelebrieren Tischtennis-Guerillas auf öffentlichen Plätzen ihr Pingpongspiel mit Bier, Passanten und Polizei. Sie wollen keine Revolution, denn alle kommen garantiert aus geordneten Familien

Mitten im Kreisverkehr stehen sie und spielen Tischtennis. Zwei Doppel schlagen sich die Bälle zu, Zuschauergruppen mit brunnengekühltem Bier in der Hand beobachten das Spiel, während Autofahrer auf dem Weg nach Lichtenberg vielleicht einen Moment lang stutzen, bevor sie die nächste Kreiselausfahrt nehmen und das krude Schauspiel kopfschüttelnd oder schmunzelnd wieder vergessen. Die „Tischtennis-Guerilla“ hat den Strausberger Platz erobert.

Eigentlich hat die Gruppe keinen Namen. Sie ist nicht als Verein eingetragen, meldet ihre Veranstaltungen nicht an und hat keinen Sprecher. Aber natürlich gibt es jemand, den man fragen kann. Chris ist von Beruf Gärtner, und wenn er versucht, zu erklären, was er und seine Freunde mitten in der Nacht auf einer Verkehrsinsel mit Tischtennisschlägern und Halogenleuchtern treiben, greift er zum Begriff „Tischtennis-Guerilla“. Um gleich augenzwinkernd hinzuzufügen, dass „alle aus geordneten Familien kommen“. Keine Revolutionäre also, stattdessen einfallsreiche Partyfreunde, die aus der Not eine Tugend machten und so die Stadt entdeckten.

Angefangen hat alles im Hinterhof eines Mietshauses in der Brunnenstraße, in den Chris eine geschenkte Tischtennisplatte stellte und wo er immer dienstags mit Freunden und Nachbarn feiern konnte. Im letzten Jahr musste die Hausgemeinschaft dann das Feld räumen. Das Haus wurde saniert und die Gruppe heimatlos, bis Chris die Idee hatte, die Stadt zu nutzen. Man könnte sich doch öffentliche Orte, die im Alltag nur gestreift oder gar nicht erst wahrgenommen werden, spielerisch aneignen?

Seitdem streifen sie durch Berlins Mitte, um die Stadt für sich zu entdecken. Egal ob in den Heckmann-Höfen, an der Jannowitzbrücke, in der Unterführung unter dem Alexanderplatz oder mitten auf dem Lustgarten, mit Spielwitz und Bierlaune funktioniert die Gruppe sich ungewöhnlich gewöhnliche Orte zur Party-Location um.

Welcher es beim nächsten Mal sein wird, wissen die jungen Leute oft erst montagabends. Dann gehen E-Mails rund, Chris bespricht seinen Anrufbeantworter, und wer Lust hat, kommt. „Dass niemand genau weiß, was passieren wird, ist natürlich ein besonderer Reiz“, beschreibt Verena den Überraschungsmoment für alle Beteiligten. Die 26-jährige Schauspielerin ist eine Anhängerin und Mitorganisatorin der Tischtennispartys. Die Reaktion der Passanten auf die ungewöhnlichen Aktionen seien meist positiv. „Viele halten uns für ein paar verrückte Jugendliche“, schmunzelt Verena. Dabei sind die meisten der Tischtennisbegeisterten zwischen 26 und 36; ein paar Studenten sind zwar darunter, aber die Mehrzahl der Tischtennisfans ist doch längst berufstätig: Schauspieler, Bühnenbildner, DJs.

Für die Polizei ist die Truppe, die mit einer Tischtennisplatte, Generator und Bierkästen durch die Stadt zieht, im Zweifelsfall ein Haufen Spinner, die es zu beobachten gilt. Selten, dass sie tatsächlich eingreift wie gestern am Strausberger Platz. Fünf Zivilstreifen bauen sich eindrucksvoll auf und räumen den von Partyfreaks „besetzen“ Platz zielstrebig. Die begangenen Ordnungswidrigkeiten reichen von Lärmbelästigung über das unbefugte Betreten einer Grünfläche bis zum Verstoß gegen das Versammlungsgesetz. Die Tischtennisguerilla packt unspektakulär ihre Sachen und zieht ab. Unterdessen nimmt ein Beamter die Einsatzleiterin beiseite und fragt sie: „Seien wir mal ehrlich: Grünfläche, na und?“ Aber der Verkehrslärm wird ihn übertönt haben, denn Antwort bekommt er nicht. ARMIN BEBER