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: In den 20ern wird Fußball zum Massenphänomen

Pop aus dem Schützengraben

Volle Zuschauerränge, Live-Reportagen im Radio, neue Stadien und heißgeliebte Fußballstars prägten die deutsche Fußballszene der 20er-Jahre. In der Weimarer Republik avancierte die zuvor verpönte „Fußlümmelei“ zur Popkultur. Es war die Zeit, in der die Massen den Fußball für sich entdeckten. Vieles glich dem Bild von heute, aber einiges blieb auch einmalig. Obwohl die Weimarer Republik Geburtsstunde des Massenphänomens Fußball ist, wurde vieles vergessen. Vergangenes aufleben lässt nun das Buch „Fußball in der Weimarer Republik“, geschrieben von dem Kölner Sporthistoriker Erik Eggers.

Der Autor berichtet von den Anfängen der Popkultur Fußball, die auf den Schlachtfeldern des 1. Weltkrieges begann. In einer Zeit, in der der Tod hinter Schützengräben lauerte, stillte das runde Leder die Bedürfnisse der Frontsoldaten nach ausgleichender Beschäftigung. Und als der Krieg verloren war, luden die deutschen Soldaten den neuen Gefährten ins Gepäck und popularisierten ihn in der Heimat. Schon sechs Jahre später war die Mitgliederzahl des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) von 190.000 auf 750.000 gestiegen und 1932 überschritt sie bereits die Millionengrenze. Nicht nur den Verbänden kam das vor wie ein Segen. Kommunale Politiker profitierten durch Stadienbauten. Ein wahrer Boom ereilte die Bauwirtschaft. Angenehmer Nebeneffekt für die Bürgermeister großer Städte war die Reduzierung der stetig steigenden Arbeitslosenzahlen. Eindrucksvolles Beispiel ist der Bau des Müngersdorfer Stadions unter der Ägide von Bürgermeister Konrad Adenauer. Doch selbst die zur damaligen Zeit gigantisch wirkenden Neubauten konnten der Begeisterung nicht gerecht werden: Die Stadien quollen weiter über.

Und Geschäftemacher rochen Lunte: Bereits 1927 existierten über 500 Sportzeitschriften, das junge Radio erkannte die mediale Attraktivität. Fanartikel, Starbilder und Autogrammstunden fanden ihre Liebhaber. Die Symbiose zwischen Medien und Fußball hatte begonnen. Erste Zweifler meldeten sich ebenfalls zu Wort: Sie befürchteten leere Stadien durch die Rundfunkübertragungen. Denn, so dachten sie, eine Übersättigung des Publikums sei mit dem scheinbaren Überangebot nicht zu vermeiden. Fehlanzeige – die Ränge blieben voll. Allerdings gesellten sich Krawallmacher unter die Fans. Selbst die konservative Haltung der DFB-Funktionäre gab es schon in den 20er-Jahren. Trotz allen Kommerzes, der Amateur sollte bleiben. Zwar wollten viele eine Profiliga ins Leben rufen – doch der DFB weigerte sich. Mit Ideologie hatte das aber nichts zu tun: Beim Amateurfußball mussten keine Steuern gezahlt werden.

Auch wenn die Unterhaltungsindustrie durch den Fußball boomte, vergaß dieser sein Vaterland nicht. In der ersten deutschen demokratischen Epoche existierte eine geheime Verbindungsstelle zwischen Sport und Militär. Eine Liaison, der sich auch der Fußball zu unterwerfen hatte. Internationale Begegnungen waren außenpolitischer Auftrag. Dies zeigte sich bereits beim ersten Länderspiel nach dem 1. Weltkrieg. „Nicht zu hart gegen die Schweiz spielen“, war die Vorgabe von Staat und Verband, formuliert von DFB-Vizepräsident Felix Linnemann. Als „Gentlemen des Sports“ wollte man sich im Juni 1920 in Zürich präsentieren. Die deutschen Kicker folgten ihrer Mission. Als haushoher Favorit verloren sie 1:4 und foulten nur zweimal – ein wohl ewiger Rekord. Der außenpolitische Erfolg motivierte: Auch in den Folgejahren blieb der Fußball Spielball der Verständigungspolitik. Niederlagen auf dem Platz wurden als außenpolitischer Sieg gefeiert.

Der Autor schafft es aber nicht nur, das Massenphänomen Fußball in den 20ern aufleben zu lassen. Er zieht auch kunstvoll die Parallele zur Gegenwart und verliert im Trubel der vielen Anekdoten nicht den Überblick. „Fußball in der Weimarer Republik“ ist ein Buch für alle, die mit Fußball mehr verbinden als nur ein Spiel.

CHRISTOPH BERTLING

Erik Eggers: „Fußball in der Weimarer Republik“, Agon-Verlag, Göttingen 2001, 31 DM