Mickrige Messehäppchen

Zwei Tage lang präsentierten Deutschlands TV-Sender auf der Telemesse ihr künftiges Programm – in homöopathischen Häppchen. Die Langversionen hätte vor Langeweile niemand ausgehalten

aus Düsseldorf S. SEDLMAYR
und S. GRIMBERG

Wenn Sie einen Fernsehapparat haben, schaffen Sie ihn ab. Gehen Sie mal wieder ins Kino, reservieren Sie sich eine Karte bei Stefan Schmidt oder Harald Raab, lesen Sie die Nachrichten in der taz. Und vor allem: Besorgen Sie sich eine Eintrittskarte für die nächste Telemesse. In Sachen Fernsehen genügt das vollkommen. Denn auf dem diesjährigen Zusammentreffen der TV-Gewaltigen und ihrer Werbekunden in Düsseldorf konnte man die Programme sichten, die man im kommenden Jahr ganz sicher nicht sehen will.

Katharsis. Leider nur für Macher, Werber und ein paar Journalisten. Der große Rest wird wohl auch zukünftig die Glotze laufen und damit die Reklame-Einnahmen in die Kassen von RTL, Sat.1 und Co. fließen lassen.

Trotz der kathartischen Wirkung für wenige sei die Frage erlaubt: Wozu taugt dann eigentlich eine „Messe“, bei der in Schallgeschwindigkeit geschnittene Programmfetzen mit bemüht launigen Sprüchen in High-Tech-Kulissen abgefahren werden? Anders als bei den internationalen Programm-Märkten in Cannes, Köln und anderswo, die bei ihren Screenings schon mal zehn Minuten Film am Stück zeigen, könnte man bei der Schnipseljagd namens Telemesse einen guten Film nicht einmal dann erkennen, wenn einer dabei wäre.

Nun geht es anders als in Cannes und Köln in Düsseldorf nicht um Programm-Verkauf, sondern um das Verticken von Werbezeiten, könnte man sagen. Und dazu muss Image verkauft werden. Und Audience Flow, damit die Werber auch glauben, dass da wirklich jemand dranbleibt, wenn Arnie Schwarzenegger und die ZuschauerInnen sich beim e.on-Spot schütteln.

Spots längst gebucht

Passt aber auch nicht wirklich: Die halb empirischen Präsentationen mit vielen Charts und bunter Grafik, die zu Anfangszeiten der Telemesse über die BesucherInnen hereinbrachen, sind heute noch kürzer als die Programm-Ausschnitte. Denn schließlich ist der Großteil der Werbezeiten für die kommende TV-Saison schon vor der Telemesse längst gebucht. Und wird sowieso im kleinen Kreis beschlossen – und nicht bei der Speisung der 5.000 in der Messe Düsseldorf.

Warum also Telemesse? Es gibt zwei Antworten: Zum einen will die zweite Reihe der MediaplanerInnen, jener Spezies, die für die werbetreibende Wirtschaft Anzeigenkampagnen entwickelt und festlegt, welcher Spot wo läuft, auch gewürdigt werden. Die labbrigen Plastiktüten zur Verpackung der obligatorischen kleinen Präsente einiger Sender (wie bei Sat.1) oder die schlichte „Wer wird Millionär“-CD-ROM vom Konkurrenten RTL waren zwar schon hart an der Schmerzgrenze und lassen gewiefte Rechner schon ins Grübeln geraten, ob sich die Sender ihre Dauerwerbesendung Telemesse wirklich die von Brancheninsidern geschätzen 20 Millionen Mark kosten lassen.

Dafür wartete das ZDF wie immer mit exzellenter Cuisine auf seine Medien-Gourmets, dazu gab’s ein Badetuch in der neuen Hausfarbe (Müllabfuhrorange) mit eingesticktem – genau – Mainzelmännchen. Schließlich dürfen die Öffentlich-Rechtlichen nur von 17 bis 20 Uhr Reklamegelder scheffeln, und was dann läuft, heißt in schönster Ehrlichkeit bei ARD und ZDF bis heute „Werberahmenprogramm“.

RTL hat es da einfacher: Zielgruppe stimmt, und: „Bei uns ist die Werbung Programm“, sagt RTL-Chef Gerhard Zeiler bei einem der zahlosen Screenings, die in erster Linie stattfinden, damit die Werbeplaner in der überschaubaren Messehalle nicht die ganze Zeit trinken und essen und sich unterhalten müssen. „Heb! Dich! Ab!“ ist das Motto der Shows, und deshalb sehen mittlerweile alle gleich aus.

Unwillige Stars

Glücklich die Sender, die ein paar Stars haben, die sich – im fünften Telemessen-Jahr mit garantiert ungeschönter Lustlosigkeit – auf die Bühne zerren lassen: Spannender als das übliche Gedisse eines genervten Stefan Raab („Beim Screening von Kabel 1 singt ein Gospelchor. Die müssen wohl schon beten!“) und die Fünf-Minuten-Sotissen von Harald Schmidt waren da noch der dilettantische Auftritt des jungen Nachrichtensenders N24, der allen Ernstes ein Satellitentelefon als bahnbrechende Innovation und Garant für schnelle Information verkaufen wollte, oder auch die bizarre Atmosphäre beim RTL2-Screening: In einem abgedunkelten Raum liegen 20 Neugierige und gucken sich den Programm-Trailer stumm per Telebrille an. Vielleicht war beim Stiefkind der RTL-Gruppe (Günther Jauch: „Was kann man schon für seine hässlichen Schwestern“) ja auch nur niemand zur Moderation bereit.

Nicht nur der im Vergleich zu den Vorjahren spärlichere Zuspruch der Werbebranche ließ die Krise auf dem Fernsehmarkt durchscheinen. MTV zum Beispiel sparte schon beim Stand und baute kurzerhand sein weiß-transparentes Zelt von der PopKomm wieder auf. Wo die Branche landen könnte, wenn die Flaute weiter anhält, war nur durch Chiffren zu erfahren: Beim Buffet trugen die Bediensteten T-Shirts mit der Aufschrift „Die Zukunft des Fernsehens“ – Tellerwaschen?

Nicht doch. Schließlich ist die zweite Daseinsberechtigung der Telemesse, die großen wie kleinen Werbezeiten-Bucher noch einmal zu herzen und ihnen das Gefühl zu geben: Ich habe meine Spots gut platziert.

Ob die wenigen Highlights in den Programmen das Vertrauen in den Anzeigenplatz Fernsehen verstärkt haben, sei dahingestellt. Die Branche übt sich jedenfalls wieder im Schönreden: War vor wenigen Wochen noch Katzenjammer wegen der im Vergleich zum lukrativen Vorjahr eingebrochenen Umsatzzahlen en vogue, blickte man in Düsseldorf schon wieder glücksstrahlend auf zum Prognos-Institut. Das hatte die jüngste Krise zwar auch nicht vorhergesehen – aber verheißt für das Fernsehjahr 2002 wieder 4,6 Prozent Wachstum in Sachen TV-Werbung.