freuds pizza
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von KARL WEGMANN

Es ist warm, sehr warm, und Willy hat Pizza gemacht. Eigentlich ist es viel zu heiß, um zu essen, aber was soll’s . . . „Was’n das Orangefarbene hier“, fragt Konscho. „Lachs aus der Irischen See“, antwortet der Koch. Konscho brummt irgendwas. Dann fällt mir auf, dass Willy uns beim Essen genau beobachtet.

Suzie Ungerleider singt gerade „I’ve got Dreams to remember“, und ich werde ein bisschen nervös. „Was ist los?“, frage ich ihn. „Hast du unter dem Edelfisch irgendwelche Drogen versteckt?“ Konscho lässt vor Schreck die Gabel fallen. Aber Willy wehrt ab: „Nein, nein, ich hab’ da nur gerade eine neue Studie laufen.“ O nein, ich hab’s geahnt. Willy macht manchmal diese seltsamen Sachen und analysiert Menschen anhand ihrer täglichen Gewohnheiten.

„Wie jemand eine Pizza isst, ist sehr interessant“, sagt er jetzt und schaut mich an. „Du zum Beispiel bist ein ‚Schnippler‘, du schneidest methodisch stur von vorne nach hinten kleine mundgerechte Happen ab. Buchhalter essen so ihre Pizza, oder Ingenieure oder Gynäkologen.“ Gynäkologen? Ich bin für einen Moment sprachlos. „Und ich?“, ruft Konscho. „Du bist ein ‚Reißer‘“, behauptet Willy. „Es gibt den ‚harten Reißer‘, der benutzt nicht einmal Messer und Gabel, der reißt einfach ein Stück ab, rollt es zusammen und mampft, typisch für impulsive Menschen, meist Schwerkriminelle.“ Konscho will protestieren, aber Willy beruhigt ihn: „Du bist ein ‚milder Reißer‘, du schneidest ein wenig, zupfst dann ein Stück heraus und klappst es ein, so essen Bauarbeiter oder Journalisten oder eben Kneipenwirte.“

Ich bin total perplex, hüte mich aber nachzufragen, dafür ist es viel zu heiß. Stattdessen spiele ich Willys Spielchen mit und sage: „Ist ja wirklich spannend, gibt’s auch einen geschlechtsspezifischen Unterschiede?“ – „Nur bedingt“, meint Willy, „Frauen sind meist ‚Dreher‘ oder ‚Tranchierer‘“. „Soso“, sage ich, „und was bedeutet das?“ „Ganz einfach, ‚Dreher‘ schneiden ein Stückchen ab, drehen dann den Teller, schneiden an einer anderen Stelle wieder ein Stück ab und so weiter, Frauen machen das gerne, aber auch Schauspieler, Krankenpfleger und . . .“ „Und was ist ein ‚Tranchierer‘?“, unterbreche ich ihn. „Ein Mensch, der sich für einen Künstler hält, es aber nicht ist“, sagt Willy mit ernstem Gesicht. „‚Tranchierer‘ schneiden zum Beispiel erst ein kleines Dreieck heraus, dann machen sie um die Pepperoni herum einen runden Schnitt, weil sie die erst später essen wollen, dann schneiden sie um die Salamischeibe herum ein Rechteck heraus. Bedauernswerte Menschen, meist Leute aus der Werbebranche oder Architekten oder Tänzerinnen.“

„Und das hast du alles ganz alleine herausgefunden“, frage ich ihn, „oder gibt’s da schon irgendwelche Fachliteratur, wo man so etwas nachschlagen kann?“ „Noch nicht“, grinst Willy. Und ich ahne Schlimmes. „Du willst doch nicht etwa . . .“ – „Nein“, sagt Willy, „erst muss ich meine Studien beenden, und dann will ich noch andere Nahrungsaufnahmen untersuchen. Wisst ihr eigentlich, dass es sieben verschiedene Möglichkeiten gibt, Spagetti zu essen?“ Ich würde ihn am liebsten . . . – aber dafür ist es viel zu heiß.