Beste Laune, volles Haus

■ Gehört: Neunziger-Jahre-Rock mit „Live“ im Grünspan

Was zum Teufel hat er da auf dem Kopf? Fragende Blicke. Wer einen kahl geschorenen Hänfling mit freiem Oberkörper erwartet hatte, bekommt Ed Kowalczyk mit mehr Haaren denn je. Ein grauenhaftes Käppi bedeckt den – im wahrsten Sinne – Kopf von Live, seitlich lockt sich ein Kranz um seinen schmalen Schädel. Nicht ein Mal wird er an diesem Abend die Mütze absetzen.

„Unplugged“ waren sie angekündigt, die großen Songschreiber unter den Neunziger-Jahre-Ro-ckern. Und so beginnt der Abend mit Käppi-Ed, der solo einige Songs des kommenden Albums V vorstellt. Ob uns die „Vibes“ erreichen, will er wissen und zieht dabei die Wangen schmal. Für „Lakini's Juice“ pluggen sie sich dann wieder ein: Neben der vierköpfigen Band sind ein Tournee-Keyboarder und Eds Bruder als Gitarrist auf der Bühne. Der weitere Abend besteht aus Gitarren wechseln. Zu viert schlagen sie die Seiten, wühlen sich durch das Repertoire, betten ein wenig neues Material ein und werden am Ende in bester Laune knapp drei Stunden gespielt haben.

„Sind alle betrunken genug?“ Nach Tequila steht Kowalczyk der Sinn, für sich selbst in größeren Mengen – und gerne auch für das schweißtriefende Publikum. „Kann ich das Geld der Plattenfirma ausgeben?“, fragt er mit Blick auf den Balkon, wo sich eben jene volllaufen lässt. Polydor lässt sich lumpen und schmeißt ein kleines Tablett mit Shootern, die in der ersten Reihe verteilt werden. Das macht Mut, und auf seine Fragen, „Kennt jemand den Text?“, kommen zunehmend tapfere Angebote, an der großen Liebe teilzuhaben. Dann streckt er sinnschwanger die Arme aus, und man könnte ihn als Fresko verewigen. In diesen Momenten geraten Live zu seiner großen Egonummer, schließlich hat Ed erstmals alle Songs geschrieben.

30 Jahre sind die vier Freunde aus einem Nest in Pennsylvania inzwischen alt, dem „Shit Town“, wie sie es noch zum Schluss hin beklagen werden. Und sieht man sie auf der Bühne diskutieren, welche Songs sie denn nach über zwei Stunden vergessen haben, glaubt man ihnen die Kindergarten-Freundschaft. „I Alone“, einer der Single-Erfolge der Band, wird zur Zehnminuten-Nummer mit Pianosolos und Eminems „The Way I Am“. Immer wieder fließen kleine Cover-Versatzstücke in die Songs ein, „Deep Down & Dirty“ von den Stereo MCs, oder mehrmals der Limp Bizkits' „Rollin'“.

Höflich bedankt sich Kowalczyk im „Zugaben“-Geschrei der Hartgesottenen – „Motherfucking Thank You! wird doch überall verstanden, oder?“ –, marschiert im Stechschritt von der Bühne, salutiert grinsend und hat den Frieden mit sich und für die Welt gefunden.

Volker Peschel