: Glaube, Liebe, tiefster Sinn
In Nick Hornbys neuem Buch „How To Be Good“ dreht sich alles um die Fragen nach dem guten, richtigen und moralisch einwandfreien Leben
von GERRIT BARTELS
So was kann Menschen mit der stabilsten Psyche aus der Bahn werfen: Wenn der Ehepartner, der sich lange Jahre als größter Theaterhasser vor dem Herrn gebärdet hat, plötzlich freiwillig ins Theater geht. Aber Katie, die Ich-Erzählerin in Nick Hornbys neuem Roman „How To Be Good“, ist viel zu perplex, um sich groß zu wundern, als ihr Mann David eines Abends nach Hause kommt und sagt, er wolle mit ihr ins Theater. Erst als sie während der Aufführung spürt, wie David sich bemüht, gute Miene zum bösen Theaterspiel zu machen, dämmert ihr, dass da etwas Unheimliches vorgegangen sein muss. Erst recht, als er auf dem Heimweg einem Obdachlosen ihr ganzes Geld schenkt, einfach um auszuprobieren, „was es für ein Gefühl ist“.
Eine seltsame und fremde Welt ist das, wenn selbst in den verbrauchtesten Ehen noch Zeichen und Wunder geschehen; eine Welt, die durchaus Stoff für schöne Romane bereithalten sollte, schon gar wenn sie von einem so genannten Kultbuchautor wie Nick Hornby stammen. Doch nach der Lektüre von „How To Be Good“ geht es einem ein bisschen wie Katie mit ihrem Mann: Man versteht nicht so ganz, was in Nick Hornby gefahren ist. Was ihn veranlasst hat, ein Buch zu schreiben, das sich vor allem um das gute, richtige und moralisch einwandfreie Leben dreht und wie schwer das zu führen ist, ein Buch, das mit aller Macht nachdenklich sein will und nicht gerade sprüht vor Witz und Spritz.
Immerhin leuchtet es ein, dass Hornby nicht ewig ein Kultbuchautor sein möchte, der unentwegt Fortsetzungsromane von „Fever Pitch“ und „High Fidelity“ schreibt; Bücher über die Leidenschaft zu Fußball und Popmusik und deren unwiderstehliche Macht auf die Lebensentwürfe bestimmter Menschen; Bücher über Männer Mitte dreißig, die nicht erwachsen werden wollen, denen am Ende aber doch nichts anderes übrig bleibt – so wie Will Freeman, dem in Hornbys letztem Roman „About A Boy“ eine Freundschaft mit einem zwölfjährigen Jungen bewusst macht, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen.
In „How To Be Good“ gibt es keinen Fußball, keinen Pop, keine coolen, bis ins Mark verfeinerten, beziehungsunfähigen Mittdreißiger, auch keine Jungs, die Nirvana und die richtigen Turnschuhmarke zum besseren Leben brauchen. Sondern erst einmal Szenen einer Ehe, die Hornby aus der Perspektive einer Frau erzählt, der vierzigjährigen Allgemeinärztin Katie Carr, die gleich auf der zweiten Seite ihr unspektakuläres Eheleben so zusammenfasst: „Zwei Leute lernen sich kennen, verlieben sich, kriegen Kinder, fangen mit Streitereien an, werden fett und übellaunig (er), beziehungsweise gelangweilt, verzweifelt und übellaunig (sie), und trennen sich.“
Damit könnte es sich haben, das könnte man auch als Warnung missverstehen; doch natürlich lässt sich da viel mehr erzählen, egal zu welcher Zeit, wie man von John Updike („Ehepaare“), John Irving („Eine Mittelgewichtsehe“) oder Martin Walser (alles von „Ehen in Philipsburg“ bis „Lebenlauf der Liebe“) weiß, und das ließe man sich gern auch mal von Nick Hornby erzählen.
Da ist also Katie, die gerade einen Seitensprung hinter sich hat und überlegt, sich scheiden zu lassen. Und da ist ihr Ehemann, der frustrierte, erfolglose Schriftsteller David, der eine Kolumne in einer Lokalzeitung schreibt, die „Der zornigste Mann von Holloway“ heißt. Ansonsten ist er Hausmann und kümmert sich um die beiden Kinder Tom und Molly.
Vertauschte Rollen, gender trouble, Mittelstandstristesse, Mittellebenskrisen – das ist doch schon was! Doch Hornby reicht das nicht, er zieht die Schraube noch etwas mehr an und lässt einen Wunderheiler das sowieso schon fragile Beziehungsgeflecht seiner Kleinfamilie durcheinanderbringen. DJ GoodNews heißt der, ein 30-jähriger magerer Mann mit hellblauen Augen, lockig-schmutzigblonden Haaren und einem Ziegenbärtchen. Der heilt durch Handauflegen erst Molly von ihrer Neurodermitis, dann David von seinen Rückenschmerzen und seinem Zorn auf die Welt, und zieht schließlich bei den Carrs ein, um von dort aus mindestens 160 gute Taten pro Minute zu drehen. (Partys und Zimmerservice für Obdachlose, sich um die Eckensteher kümmern usw.).
Mit DJ GoodNews wird aus dem Eheroman plötzlich das schwergewichtige Buch, das das Gute und das nicht ganz so Gute verhandelt (von dem Bösen keine Spur), das Wertesysteme hinterfragt, das dem ganz großen Sinn auf der Spur ist, und die qua Profession eigentlich gute Katie merken lässt, dass es nicht reicht, Ärztin zu sein oder mit seinen Kindern über Obdachlosigkeit, Rassismus und Sexismus zu reden: Sie sind in mancherlei Hinsicht trotzdem kleine, gierige Monster. Da gelingt es Hornby zwar, Katies Innenleben einigermaßen überzeugend zu schildern, da gelingen ihm auch ganz schöne Betrachtungen zum Sex in der Ehe oder darüber, wie angenehm es sein kann, schon 40 zu sein. Da sind dann aber DJ GoodNews und David, die wie schlechte Karikaturen wirken, die in ihrem Schwarzweißdenken so eindimensional sind, dass man sich schon wieder fragt: Ein Witz, der sich vor der Pointe fürchtet?
Hornby scheint mit zunehmender Dauer des Buches seines Humors und seiner Leichtigkeit verlustig gegangen zu sein, und immer ermüdender werden die Auseinandersetzungen, die Katie mit GoodNews und David hat, immer öder ihre Entwicklung, die sie während der Monate mit GoodNews im Haus durchmacht: Erst will sie ihren alten David zurückhaben (okaye Momente), dann versucht sie gegenzuhalten (schon nicht mehr so okay), und statt dass sie einfach ihrer Wege gehen und sich scheiden lassen, träufelt Hornby in ihren Kopf und ihr Herz mehr und mehr die Reflexionen über Goodness und noch mehr Goodness (o je!). Bis dass sie ihre Ehe, komme, was da wolle, retten will. Und ihr Leben gleich mit: Katie will sich mehr Zeit für sich nehmen, mehr Bücher lesen, mehr Musik hören. (Mal öfter „Ich“ sagen, mal mehr an sich denken, wie man in der Psychotherapiestunde so sagt.)
Das ist sehr bieder, gleichzeitig aber auch rührend: Hornby glaubt an die Kraft kultureller Einflüsse, und er glaubt fest daran – so wie in seinen anderen Büchern –, dass aus zwei Singles immer ein gutes Paar werden kann oder aus einem Paar kurz vor der Scheidung doch eine Gemeinschaft bis zum Tod. Die Liebe und nichts als die Liebe. Rührend ist das insbesondere, wenn man sich einen wie Michel Houellebecq anschaut, auch so ein Kultbuchautor und Moralist, und seine Sicht auf die Welt: Der hat bekanntlich in Sachen zwischenmenschlicher Beziehungen alle Hoffnung fahren lassen. Dagegen wirkt Hornby wie ein braver Stadtschreiber, der aus seinem kleinem Viertel mit den Reihenhäusern nie rausgekommen ist; der halt der Konjunktur des Bösen und Kaputten lieber mit den Fragen nach dem Guten begegnen möchte.
Sein Buch endet mit einem Dauerregen (Sintflut! Apokalypse!) und mit Katie, die an ihrem Mann vorbei in die große Leere des Universums starrt; also irgendwie resigniert. Da möchte man dann Hornby nur noch in den Arm nehmen, knuddeln und ihm ins Ohr flüstern: „Alles wird gut, alles wird doch gut!“
Nick Hornby: „How To Be Good“, KiWi-VerlagKöln 2001, 342 Seiten, 36 DM
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