Für die neuen Jobs fehlt die Bildung

In Japan steigt die Arbeitslosigkeit auf einen Rekordstand von 5 Prozent. Weil das Land 50 Jahre lang die Lebensstelle alsIdeal propagierte, haben die Entlassenen nun besondere Schwierigkeiten bei der Suche nach neuen Arbeitsplätzen

aus Yokohama ANDRÉ KUNZ

Junko Ohira tippt auf dem Aktiv-Bildschirm das Stichwort „Sekretärin“ an und binnen Sekunden springen die ersten zehn Stellenanzeigen im Raum Yokohama auf den Schirm. Sie wählt eine aus, die nahe an ihrem Wohnort liegt, tippt nochmal, und ein Drucker spuckt die Anzeige Nummer 576 aus.

Im städtischen Arbeitsamt von Yokohama, das wie überall in Japan den englischen Namen „Hello Work“ trägt, sind alle 50 Job-Suchstationen besetzt. Im hellen Raum davor warten Männer geduldig, bis eine Station frei wird. „Wir mussten eine Zeitbeschränkung von 30 Minuten einführen, damit keine allzu langen Warteschlangen entstehen“, erklärt eine Beraterin.

Japans Arbeitsämter sind voll wie noch nie. Das Land steht kurz vor seiner vierten Rezession in einem Jahrzehnt, und die Arbeitslosigkeit ist im Juli erstmals seit dem ersten Erhebungsjahr 1953 auf 5 Prozent hochgeschnellt. Eine vollständig neue Situation für ein Land, das bis vor fünf Jahren stolz war auf sein System der Lebensstellen und eine Arbeitslosenrate, die während nahezu vierzig Jahren nie weit über 2 Prozent stieg. Das Arbeitslosenproblem wird deshalb zu einer der größten Herausforderungen für die neue Regierung von Ministerpräsident Koizumi werden, der dem Land tief greifende Reformen mit viel Schmerz versprochen hat.

„Vier Monate bin ich nun arbeitslos und habe gerade einen Computerkurs hinter mir. Nun hoffe ich endlich auf eine Stelle“, sagt die 27-jährige Ohira. Mit dem Zettel geht sie erwartungsvoll in den ersten Stock zu einer Beraterin. Das Gespräch dauert kurz, und Junko kommt enttäuscht zurück: „Leider reichen meine Computerkenntnisse nicht. Die Beraterin empfahl mir noch einen Fortsetzungskurs.“

Die meisten der 3,3 Millionen japanischen Arbeitslosen machen ähnliche Erfahrungen. Sie bringen die falschen Voraussetzungen mit für die Jobs, die in Zukunftsindustrien geschaffen werden. Gerade ältere Arbeitnehmer haben oft nur einen einzigen Betrieb kennen gelernt und nicht erwartet, dass sie jemals einen vollständig anderen Job annehmen müssten. Nun ist eine weit höhere Mobilität gefragt, und dabei hinkt Japan laut Toshihiro Kodama, Arbeitsexperte im Forschungsinstitut für Wirtschaft, Handel und Industrie hinter den europäischen Ländern her. Nach seinen Schätzungen könnten in den nächsten fünf Jahren rund 5,3 Millionen neue Jobs im Gesundheits- und Bildungswesen sowie der Informationstechnologie geschaffen werden. Dafür müsse allerdings das Bildungswesen reformiert und die Arbeitnehmerschaft mobiler werden.

Kurzfristig wird deshalb die Arbeitslosigkeit weiter steigen, denn allein die versprochenen Reformen werden im nächsten Jahr noch einmal mehr als eine halbe Million Stellen vernichten. Kodama geht davon aus, dass Mitte 2002 die 6-Prozent-Grenze übersprungen werden könnte. Für Ohira sind das trübe Aussichten. Sie hat sich an diesem Nachmittag für den nächsten Computerkurs eingeschrieben.

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