„Volkswagen hat die Nase vorn“

Der Arbeitsmarktforscher Hartmut Seifert glaubt, dass andere Unternehmen dem Wolfsburger Beispiel folgen werden

taz: Wer hat im Streit um das neue VW-Arbeitsmodell gewonnen, die Arbeitgeber oder die Gewerkschaften?

Hartmut Seifert: Natürlich ist es aus Sicht der Gewerkschaften positiv, dass hier Arbeitsplätze für einige tausend Arbeitslose geschaffen werden können. Problematisch an dem Vertrag ist aber, dass er nicht den Standards des VW-Haustarifvertrags entspricht.

Worin liegt der gravierendste Nachteil?

Das Entgelt ist niedriger. Es liegt deutlich unter der Bezahlung im VW-Haustarifvertrag. Da spart das Unternehmen eine ganze Menge. Ein weiterer Vorteil für die Arbeitgeber liegt in der Arbeitszeitflexiblität. Die Arbeitszeit kann ohne Überstundenzuschlag auf bis zu 42 Stunden pro Woche angehoben werden, inklusive Samstagsarbeit. Da hat das Unternehmen viel Spielraum – mehr als bei den Beschäftigten, die nach dem normalen VW-Haustarifvertrag arbeiten.

Es ist ein Novum, dass explizit Arbeitslose auf die neuen Stellen gesetzt werden. Das ist doch eine echte Chance für die Betroffenen, die künftig in dem Werk beschäftigt werden?

Daher gibt es auch diese erste Stufe, eine Art Probezeit, in der die Beschäftigten ein halbes Jahr lang nur mit einem befristeten Vertrag arbeiten und qualifiziert werden. Man kann das Unternehmen schon verstehen, dass sie gesagt haben: Wir nehmen Arbeitslose, aber wir wollen das Risiko minimieren. Wir wollen uns die Leute ansehen. Die müssen in der Lage sein, gute Qualität zu produzieren.

Nach der neuen Vereinbarung werden die Beschäftigten an drei Stunden in der Woche qualifiziert. Die Arbeitgeber zahlen aber nur die Hälfte dieser Zeit. Ist das nun ein Fortschritt für die Beschäftigten – oder zahlen sie dabei drauf?

Positiv ist, dass sämtliche Beschäftigten an der Weiterbildung teilnehmen. Entscheidend wird sein, ob die Qualifizierung ausschließlich auf die betrieblichen Anforderungen zugeschnitten ist oder ob die Beschäftigten auch etwas für die eigene Karriere tun können.

Kann das neue VW-Arbeitsmodell zum Vorbild werden für ähnliche Ausgründungen in anderen Unternehmen?

VW hat in den vergangenen Jahren nicht nur bei den Automodellen häufig die Nase vorn gehabt. Der Konzern hat auch für neue Arbeitszeit- und Personalmodelle gesorgt. Wenn das neue Arbeitsmodell eingeführt wird, stellt sich die große Frage: Werden auch andere Unternehmen Teilbereiche ausgliedern? Werden sie neue Bereiche, die sie aufbauen, nicht mehr in den Flächentarifvertrag einbeziehen – und stattdessen andere Bereiche schaffen, in denen schlechtere Bedingungen herrschen? Das könnte eine Spirale nach unten sein, mit der am Ende der Flächentarifvertrag ausgehöhlt wird. Damit wäre keinem geholfen.

VW hat damit gedroht, die Jobs sonst im Ausland zu schaffen.

Das stimmt. Das Unternehmen will mit dem neuen Arbeitsmodell die Standortkonkurrenz zu Ländern mit niedrigeren Lohnstrukturen bestehen.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH