In 10 Jahren mündig geworden

Am 25. August 1991 hat der Finne Linus Torvalds in einer Newsgroup ein neues Betriebssystem für den PC angekündigt. Es heißt „Linux“, ist heute das liebste und billigste Kind des Computerkonzerns IBM und kann auch von Laien benutzt werden

von ERIK MÖLLER

„Hallo an alle, die Minix benutzen. Ich schreibe ein (freies) Betriebssystem. Nur ein Hobby, nichts Großartiges und Professionelles . . . “ So begann ein Diskussionsbeitrag, den der Finne Linus Torvalds am 25. August 1991 in ein Forum im internationalen Usenet schrieb. Das Betriebssystem, das Torvalds entwickelte, trägt den Namen „Linux“ und ist gerade zehn Jahre alt geworden. Es umfasst mit allen Programmen einer aktuellen Distribution 17 Millionen Zeilen Computercode. Zum Vergleich: Das Space Shuttle benötigt nur rund 1,8 Millionen Zeilen Code für die Flugkontrolle.

Die Linux-Entwickler haben nur ein Ziel: Dem mächtigen Microsoft-Konzern die Macht zu entreißen. In nur einem Jahrzehnt ist Linux zwar schnell gewachsen, aber noch immer weit davon entfernt, volljährig zu sein. Aber es verleiht seinen Benutzern eine weit größere geistige Mündigkeit als die Produkte aus dem Hause Microsoft. Für Kinder und Jugendliche ist es die ideale Lernhilfe, um Computer nicht nur zu nutzen, sondern sie auch zu verstehen und selbst zu programmieren.

Auch für Laien am PC ist Linux eine ernst zu nehmende Alternative zur auch technisch in vielerlei Hinsicht unterlegenen Microsoft-Plattform. Das Betriebssystem ist für den Computer eine Art Sockelprogramm, auf dem alle anderen Anwendungsprogramme, von der Textverarbeitung bis zum Webbrowser, von Napster bis Gnutella, aufsetzen müssen.

Kontrolle der Medien

Mit über 90 Prozent Marktanteil dominierendes Betriebssystem für den privat genutzten PC ist Microsofts „Windows“, das in verschiedenen Produktvarianten existiert (98, ME, NT, 2000, XP). Durch die Kopplung gewisser Anwendungen mit dem Betriebssystem können wichtige Softwarebereiche dominiert werden. Beispielhaft dafür ist die Integration des Webbrowsers, („Internet Explorer“ genannt), dem wichtigsten Darstellungswerkzeug für Inhalte im Internet. Greift eine Firma hier restriktiv ein, kann die zunächst nur kommerzielle Marktherrschaft zur inhaltlichen Zensur führen.

Daran hat Microsoft zwar kein Interesse, wohl aber daran, eigene, kostenpflichtige Informationsangebote vor denen anderer Anbieter zu platzieren. Zu diesem Zweck enthält die neueste Version des Microsoft-Browsers so genannte „Smart Tags“. Der Browser sucht dabei eine Seite nach bestimmten Schlüsselbegriffen ab und hebt dann solche hervor, zu denen Microsoft weitere Informationen anbietet, unter Umständen kostenpflichtig.

Unbeeindruckt vom immer noch nicht abgeschlossenen Antitrust-Verfahren gegen diese Firmenpolitik hat Microsoft die Zahl der Anwendungen, die mit dem Betriebssystem gekoppelt werden, sogar noch erhöht („Wir würden auch ein Schinken-Sandwich in den Lieferumfang aufnehmen, wenn wir das wollten“, sagte Microsoft-CEO Steve Ballmer). Ein so genannter „Instant Messenger“, mit dem man mit Online-Freunden kommunizieren kann, ist ebenso im Lieferumfang des neuen Windows XP enthalten wie Werkzeuge zur Mediendigitalisierung.

Die Kontrolle über immer mehr Kommunikationskanäle führt zu einer unheiligen Allianz der Softwarefirma mit der Medienindustrie, die das Kopieren von elektronischen Büchern, Filmen und Musikstücken mit allen Mitteln verhindern will. Dazu werden technische Sperren entwickelt, um mit Verschlüsselung den Datenstrom, bevor er das Ausgabegerät (Monitor, Lautsprecher) erreicht, für Kopien unbrauchbar zu machen. Diese Methoden sind technisch oft trivial. Selbst wenn die Verschlüsselung noch so komplex ist, ein Musikstück, das ausgegeben werden kann, kann theoretisch immer auch wieder aufgezeichnet und (ohne Schutz) kopiert werden. Eine andere Methode des Kopierschutzes ist es, unhörbare digitale „Wasserzeichen“ in den Datenstrom einzubetten. Aber auch sie können entfernt werden. Die Inhalteindustrie versucht deshalb, jede Umgehung ihrer Schutzmechanismen schlicht zu verbieten. Durch massive Lobbyarbeit hat sie erreicht, dass auf der ganzen Welt entsprechende Gesetze verabschiedet werden. Die Konsequenz: Selbst Zitate oder Kopien im Freundeskreis können mit Gefängnis geahndet werden. Der russische Programmierer Dmitri Sklyarow, der den Kopierschutz elektronischer Bücher knackte und das entsprechende Programm verkaufte, wurde nach einer wissenschaftlichen Präsentation in Las Vegas verhaftet.

Microsoft ist in diesen Fragen nur allzugern Komplize der Inhalteindustrie. Unter Windows XP digitalisierte Inhalte werden automatisch mit einem Kopierschutz versehen. Alles nur zum Besten des Nutzers, versteht sich. Allerdings muss der, bevor er Windows XP verwenden kann, noch die Zwangsaktivierung über sich ergehen lassen: Zentrale Anmeldung und Datenerfassung ist Pflicht.

Freiheit der Anwender

Microsofts Betriebssysteme sind für ihre Nutzer unveränderbar. Sie dürfen die Funktionsweise des Programms gemäß den Lizenzbedingungen nicht ergründen, und, was viel wichtiger ist, der zugrunde liegende Quellcode ist nicht veröffentlicht. Wenn ein Microsoft-Programm einen Sicherheitsfehler aufweist, kann nur Microsoft den Fehler beheben (zahlreiche Viren und Würmer der Vergangenheit haben gezeigt, dass dies oft zu langsam geschieht oder ohne genügend Publicity).

Software jedoch wurde nicht immer so entwickelt. Als Computer gerade dem Lochkartenalter entwuchsen, war es üblich, den Quellcode von Programmen mit anderen Entwicklern zu teilen und so das Gesamtprodukt zu verbessern. Auf diesem Prinzip beruht die Bewegung, die sich „Open Source“ (offener Quellcode) nennt. Und auf diesem Prinzip beruht auch Linux. Es ist eine überwiegend von Freiwilligen entwickelte Fortsetzung des Betriebssystems Unix, das auf den ersten mit dem Internet verbundenen Rechnern lief. Spiele oder Multimedia waren für die nüchternen Studenten, die an den ersten Versionen von Linux herumbastelten, nur eine Ablenkung ohne Sinn. Dagegen waren E-Mail und Vernetzung selbstverständlich, als Microsoft noch glaubte, ein eigenes Internet bauen zu können. Dank der offenen Entwicklung, zu der jeder beitragen konnte, wuchs die Bewegung hinter dem Projekt. Unberührt von Marketingstrategien und Risikokapitalgebern wurde das Produkt besser und besser. Und schließlich kamen auch die für Endnutzer wichtigeren Aspekte hinzu: grafische Benutzeroberflächen, stabile Webbrowser, Office-Pakete.

Von Perfektion kann man noch nicht sprechen, doch die Freiheit der Nutzer ist ungleich größer als bei Windows. Das System lässt sich bis in die kleinsten Aspekte abstimmen. In der Gemeinschaft von freiheitsliebenden Linux-Nutzern mus sich niemand um sein Recht auf Privatkopien Sorgen machen. So genannte Distributoren stellten die beste Software in Paketen zusammen, die leichter zu installieren sein sollten und den Nutzern die lästige Vorauswahl von Programmen ersparen.

Heute ist der wichtigste Distributor in Deutschland die SuSE AG. In fast jedem Computerhandel bekommt man die SuSE-Linux-Zusammenstellung, die Programme für so ziemlich jedes erdenkliche Problem enthält, und sogar ein paar Spiele. Es gibt enorm viele Distributionen, so dass hier kaum eine Gefahr der Monopolisierung besteht. Dazu tragen auch die Distributoren selbst bei, die eine Vielzahl ihrer Entwicklungen der Öffentlichkeit zur Weiterentwicklung de facto schenken.

Der große Bruder hilft

Zum Erfolg von Linux trägt aber nicht zuletzt auch der größte Computerkonzern IBM bei, der Linux mit Milliardenaufwand als Standardplattform vom privaten Schreibtisch bis zum Großrechner etablieren will. IBM hat die New Yorker Börse von Linux überzeugt, lässt industrielle Datenbanken damit laufen und unterstützt selbst kleinste Projekte, die potenziell von Interesse sein könnten. Natürlich nicht uneigennützig: Als Systemanbieter kann IBM mit den Dienstleistungen rund um Linux enorme Summen verdienen und gleichzeitig einen Konkurrenten, Microsoft, aus dem Weg schaffen.

Die Community freut’s: Sie profitiert vom großen Bruder, ohne dass die Freiheit des Betriebssystems darunter leiden könnte. Denn das ist so lizenziert, dass der Quellcode von allen Entwicklern frei zur Verfügung gestellt werden muss. Eine feindliche Übernahme durch IBM, den ehemaligen Erzfeind aller Hacker, ist damit ausgeschlossen.

moeller@scireview.de