Was Rot-Grün tat, was Rot-Grün will

 ■ SPD redet unverdrossen vom Wahlsieg, GAL erklärt sich und ihre Themen für unverzichtbar, Ökoverbände und Sozialpolitische Opposition ziehen kritische Bilanz von vier Jahren Rot-Grün

Rote Illusionen

Die SPD ist zu beneiden um ihre Gutgläubigkeit: „Wir sind die einzige Partei, die ihr Stimmenreservoir noch nicht ausgeschöpft hat“, sagt Landeschef Olaf Scholz. Er rechnet noch mit 100.000 Stimmen, die die SPD noch auf , sich vereinigen könnte. Man habe sich inzwischen bei „34 bis 35 Prozent stabilisiert“, ignorierte Scholz gekonnt die Tatsache, dass dies das desaströseste Ergebnis der Partei seit Menschengedenken wäre. Auf 40 Prozent könne man noch kommen. gab sich auch SPD-General-Sekretär Franz Müntefering gestern an Scholzens Seite unverdrossen.

Den Gegner hat die SPD in der jetzt startenden heißen Wahlkampfphase auch ausgemacht: Er heißt Ole von Schill. Der CDU-Spitzenkandidat von Beust verhalte sich nur noch „sanft-säuselnd“, gegenüber Schill, und der sei ohnehin eine Gefahr für die Stadt. “Eine Stadt der geschlossenen Heime und der schockierendsten Gefängnisse“, das sei es, was von diesem“Reaktionär zu erwarten sei.

Scholz ließ zudem eine Erklärung von Ex-Bürgermeister Henning Vöscherau verteilen, in der Voscherau einen Bericht der Welt dementieren ließ. Die hatte von “Überlegungen“ in der SPD gemunkelt, Voscherau als Senatschef einer Großen Koalition zu reaktivieren. Er halte das für ausgeschlossen, ließ Voscherau verlauten. aha

Im schwarzen Gully

Zwölf Schwerpunkte „für die nächsten vier Jahre Rot-Grün“ stellte die GAL gestern vor - und wollte damit taktisch geschickt zugleich deutlich machen, „welche Reformen ein Rechtsblock von CDU und Schill in den Gully stopfen“ würde, wie Spitzenkandidatin Krista Sager es nennt.

Die Stadtbahn, ein urgrünes Projekt, würde dort entsorgt werden, fürchtet Sager nicht zu Unrecht, dafür würde „eine ungebremste Auto-Politik für Lärm und Staus in Hamburg sorgen“. Auch andere ökologische Themen wie Klimaschutz, Ökolandbau oder der Grüne Ring vom Jenischpark über Ohlsdorf bis zur Dove-Elbe „sind nur mit der GAL umzusetzen“.

Weitere grüne Schwerpunkte sollen der Ausbau von Ganztagsschulen und ein garantiertes Kinderbetreuungsangebot „auch für Flüchtlinge“ sein sowie der Umbau der Sozialämter zu Beratungsagenturen für jede Lebenslage: Jobvermittlung, Sucht- und Schuldnerberatung, Wohnungsvermittlung und anderes sollen nach NRW-Vorbild „unter einem Dach stattfinden“.

Die GAL sei nun mal, so Sager, „der Reformmotor, der die SPD unter Dampf hält und weiter halten wird“. Sofern es wieder einen rot-grünen Senat geben wird. Andere Koalitionen, auch eine Ampel unter Einschluss der FDP, kommen für Sager weiterhin nicht in Frage. „Ich stehe nur für Rot-Grün zu Verfügung“, bekräftigte die zweite Bürgermeisterin ihre Aussage von voriger Woche. smv

So unsozial schlecht

Nach 100 Tagen rot-grüner Regierung hatte sich die „sozialpolitische Opposition (Sopo)“ gegründet, weil soziale Initiativen in Hamburg Schlimmes erwarteten. Ihre Befürchtungen seien durch die Praxis der vergangenen vier Jahre noch übertroffen worden, sagte gestern Pia Peddinghaus von der Sopo bei ihrer Bilanz rot-grüner Sozialpolitik: Haushaltskonsolidierung und „intelligentes Sparen“ des Senates habe die soziale Schieflage in der Stadt weiter zugespitzt.

Zahlreiche Stellen und Sozialleistungen seien gestrichen worden. Rot-Grün habe Menschen zu Kostenfaktoren gemacht, die nach Budget und nicht nach Bedarf Hilfe bekämen. Dafür sei das Hilfe-System umgestaltet und Marktmechanismen unterworfen worden.

Bei SozialhilfeempfängerInnen seien beispielsweise allein in den Jahren 1999 und 2000 insgesamt rund 43 Millionen Mark eingespart worden sowie weitere 10 Millionen dadurch, dass Menschen gar nicht erst in die Sozialhilfe gelassen beziehungsweise aus dieser „herausgelöst“ wurden. Sachbearbeiterlnnen würden Anträge oft pauschal ablehnen - und darauf setzen, dass viele Berechtigte sich nicht wehren.

In den Häusern der Jugend seien teilweise bis zu 40 Prozent der Stellen unbesetzt. Einerseits würden Jugendprojekte nur staatliche Zuwendungen bekommen, wenn ihre Arbeit als Prävention gegen Jugendkriminalität gelte. Andererseits seien die Empfehlungen der “Enquete-Kommission Jugendkriminalität“ nicht umgesetzt worden. Ob Rot-Grün am 23. September abgewählt oder bestätigt werde, käme aufs Gleiche heraus: Die Perspektive nach der Wahl sei „so oder so schlecht“. ee

Ökogrenze Elbe

Ganz zufrieden mit der grünen Regierungspolitik wären die Umweltverbände Nabu und BUND, wenn es den „Gau Mühlenberger Loch“ nicht gegeben hätte. Die teilweise Zuschüttung des international mehrfach geschützten Gebiets überschatte alle Erfolge dieser Legislaturperiode, sagte gestern BUND-Vorsitzender Harald Köpke.

Dazu gehören nach Ansicht der Verbände die Novellierung des Naturschutzgesetzes mit Einführung der Verbandsklage und Einschränkung des Hafenprivilegs, die Ausweisung von drei neuen Naturschutzgebieten und die Schaffung eines Eingriffs- und Ausgleichskatasters. Die Erfolge seien im Wesentlichen ein Verdienst der GAL und der von ihr geführten Umweltbehörde. Die SPD habe den Umweltschutz weitgehend an die Grünen abgegeben.

„Hot Spot der Natur“ in den kommenden Jahren werde der Süderelbe-Raum sein, sagte Nabu-Pressesprecher Stephan Zirpel. Die Umweltschützer lehnen das geplante kleine Neubaugebiet in Neugraben ebenso ab wie die A 26 und die vom Senat ausgewählte Trasse für die Ortsumgehung Finkenwerder. Letztere sei nichts anderes als eine Erschließungsstraße für den Raum, der heute noch von Natur und Obstbau geprägt ist. Weil sie vorgebe, hier allen Interessen gerecht werden zu können, sei der rot-grüne Senat an diesem Punkt „unehrlich“, so Nabu-Geschäftsführer Manfred Braasch.

Die Grenze für Kompromisse bei künftigen Koalitionsverhandlungen zwischen GAL und SPD liegt für die Verbände bei der Zustimmung zu einer weiteren Elbvertiefung. Diese sei ökologisch nicht vertretbar. Ein weiterer Grund, das Bündnis platzen zu lassen, könnte aus Sicht von Braasch eine mangelnde Bereitschaft der SPD zur Ökologisierung der Landwirtschaft sein. knö