Ein Land sucht seine Identität

Schönes zeigen – dieses Bemühen ist der Ausstellung „Marksteine. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen“ allzu deutlich anzumerken. Das Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte will – reichlich angestrengt – Sinn stiften

von PHILIPP GESSLER

Was die alliierten Bomber in den letzten Kriegswochen des Frühjahrs 1945 nicht fertig gebracht haben, erledigten die SED-Oberen ab 1949 dann selbst: Die Reste der Garnisonkirche in Potsdam wurden gesprengt, das Stadtschloss abgerissen, darüber eine vierspurige Straße gelegt. Der Stadt des Alten Fritz sollte der preußische Geist ausgetrieben werden – oder das, was davon noch übrig war, nachdem der Alliierte Kontrollrat 1947 Preußen per Beschluss einfach aufgelöst hatte. Die wunderbar gelegene Stadt verlor Gesicht und Identität. Beides hat Potsdam auch als Hauptstadt Brandenburgs seit 1990 nicht wieder erlangt. Das Land und seine Hauptstadt sind auf der Suche.

Dies ist der Rahmen für die Eröffnung des Hauses der brandenburgisch-preußischen Geschichte in Potsdam und seiner ersten Ausstellung: „Marksteine. Eine Entdeckungsreise durch Brandenburg-Preußen“. „Es geht um Selbstvergewisserung in der Gegenwart, um Orientierung für die Zukunft“, schreibt Landesvater Manfred Stolpe (SPD) im Ausstellungskatalog überdeutlich, „Landesgeschichte stiftet Identität und weist Wege.“ Ein hoher Anspruch für eine Ausstellung.

„Brandenburg ist alles, was von Preußen geblieben ist.“ Diese Sentenz des Berliner Publizisten, Verlegers und Preußenfreundes Wolf Jobst Siedler, auf dem Deckel des Kataloges wiedergegeben, macht die ganze Problematik der brandenburgischen Identitätssuche deutlich: Obwohl älter als das erst später gegründete Preußen, ist Brandenburg ohne Preußen nicht mehr denkbar. Es war die „Kernprovinz“ des Hohenzollernreiches. Seit der Krönung des brandenburgischen Kurfürsten Friedrich III. zu Friedrich I., König in Preußen, „verschwand Brandenburg allmählich als eigenständige Region aus dem allgemeinen Bewusstsein – zumindest in der Sicht von außen“, schreibt die Ausstellungsmacherin Agnete von Specht in einem Aufsatz zur Konzeption der Schau. „Umgekehrt heißt das aber auch, dass es sich bei brandenburgischer Geschichte immer auch um preußische Geschichte handelt.“

Deshalb ist die Ausstellung auch die zweite zentrale Schau der von Berlin und Brandenburg ausgerichteten gemeinsamen Landesausstellung „Preußen 2001“, mit der die beiden Bundesländer das Preußenjahr begehen. Mit „Preußen 1701“ im Schloss Charlottenburg suchte die Hauptstadt nach den europäischen Bedingungen der Königskrönung vor 300 Jahren. Manchmal drängte sich dabei der Eindruck auf, als wollten sich die dortigen Ausstellungsmacher durch den Ansatz Europa vor den nationalistischen Geistern schützen, die man hinter Preußen immer zu spüren meint. Noch schwerer haben es und machen es sich die „Marksteine“ in Potsdam: Sie fahnden nach den Spuren eines Landes, das sich im Laufe der Jahrhunderte in Preußen auflöste, bis Preußen selbst aufgelöst wurde. Das ist, als suche man nach dem brandenburgischen Zucker im fortgeschütteten Kaffee Preußen.

Es ist eine schwierige Spurensuche auch deshalb, weil zwei Weltkriege und 40 Jahre antipreußische SED-Politik so vieles vernichtet haben. „Im schönsten Haus am schönsten Platz Potsdams“ wird mit der Schau das Landesmuseum eröffnet, wie der Gründungsbeauftragte Hartmut Dorgerloh erklärt. Das „schönste Haus“ ist der ehemalige Kutsch-stall der Großen Kurfürsten. Es riecht nicht mehr nach Urin, wie Kulturministerin Johanna Wanka bei der Eröffnung erfreut feststellen konnte, aber auch dies zeigt den Mangel an: Allein dieser Platz erinnert als barockes Ensemble noch an die große Zeit Potsdams und Preußens: Alle anderen repräsentativen Plätze wurden zerstört.

Schönes zeigen – dieses Bemühen ist der Ausstellung (leider) allzu deutlich anzumerken. „Es ist ein zentrales Anliegen der ‚Entdeckungsreise`, ins öffentliche Bewusstsein zu heben, welchen kulturhistorischen Reichtum Brandenburg unverändert besitzt“, erklärt Agnete von Specht. Das Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte will sich, das wird deutlich gesagt, nicht zuletzt an Touristen wenden.

Nur, was passiert, wenn einerseits so viel Schönes zerstört worden ist, andererseits die Kultur des Landes über Jahrhunderte stark von Krieg und Militärs, reichen Junkern und armen Bauern geprägt wurde? Was kann man da zeigen, wenn zudem, wie von Specht sagte, die Ausgangsfrage bei der Ausstellungskonzeption gewesen sei: Was hat das Land über Jahrhunderte geprägt? Die Antwort ist klar: Die Armee muss immer wieder durch die Schau spuken. Exponate dieses Hintergrundes machen allzu viele der 900 Kunstobjekte aus zwölf Jahrhunderten aus. Und da das alles nicht sehr schön ist, muss der Kopf des militärischen Widerstandes gegen Hitler, Henning von Tresckow, als Kronzeuge dafür herhalten, dass diese militärische Geschichte Brandenburgs nicht nur negativ war. Das wirkt bemüht.

Ähnliches gilt auch für das Kapitel „Brandenburg und die Welt“, in dem hervorgehoben wird, dass Leopold von Buch – „der bedeutendste Geologe seiner Zeit“ – aus Brandenburg kam. Die Gießerei Lauchhammer habe ihre Eisenkunst bis nach Ägypten exportiert, die Lehmann-Spielzeug-Fabrik stand in Brandenburg an der Havel: Da brüllt die Provinz, dass sie doch auch wichtig sei. Fast lächerlich und ziemlich wahllos wirkt es, wenn dann auch noch auf einen Henry Berger verwiesen wird, der „der Vater der hawaiianischen Musik“ gewesen sei. Er komponierte übrigens – was sonst – vor allem Marschmusik.

Ob die Ausstellung mit solchem Eigenlob die jungen Menschen anlocken kann, die nach Auskunft Dorgerlohs vor allem in die Schau strömen sollen? Immerhin werden sie keine Probleme haben, die engen Treppen hinauf- und hinabzusteigen, die für gehbehinderte Menschen ein echtes Problem darstellen.

Dennoch sei ein Besuch der Schau empfohlen. Zum einen, weil es bisher einfach keine Ausstellung zur Geschichte Brandenburgs gab. Zum anderen sind es die vielen fantastischen Exponate, die die „Marksteine“ trotz aller Mängel zu einem Erlebnis machen können.

Gerade die Mittelalter-Abteilung wartet mit wunderbaren Objekten auf: Sei es der leinene Waffenrock eines einfachen Stendaler Bürgers aus dem 15. Jahrhundert, sei es die mächtige Bronzetaufe aus Eberswalde oder eine Lutherbibel mit eigenhändigen Widmungen vom Reformator selbst wie von Melanchthon aus dem Jahr 1544/45. In Erinnerung bleibt auch der Altar der Kirche von Sieversdorf, dessen weibliche Heiligenfiguren im Zuge der Reformation Bärte angemalt bekamen – lehrreiche, stimmige Exponate, die zugleich viele Geschichten erzählen.

Das Faszinierende an der Ausstellung ist zudem, dass fast alle Objekte so nahe zu bewundern sind, dass einem fast bange wird um die guten Stücke. Die Schau hat keine Angst vor großen, sinnenfrohen Exponaten: Ob es nun eine mehr als drei Meter hohe Wappentafel der evangelischen Kirche von Kleinmachnow, das wunderbare blauweiße Porzellangeschirr aus dem königlichen Umfeld, mehr als 220 Jahre alt und angerichtet als Festtafel, oder der Brennabor-Oldtimer Typ „Juwel 6“, Baujahr 1930 und hergestellt in Brandenburg, ist – man vertraue auf die Macht des Originals, versprachen die Ausstellungsmacher, und das ist ihnen tatsächlich gelungen. Hier hilft auch das Ambiente des ehemaligen Kutschstalls ein wenig.

Gegenüber dieser Pracht fällt natürlich die Darstellung des Bauernlebens in der Agrargesellschaft ab. Immerhin deutet etwa eine Fanggabel an, dass der Reichtum der Wenigen in der Regel nur durch die Ausbeutung der Vielen realisierbar war. Dennoch, der Kulturverlust, den Brandenburg in den vergangenen Jahrzehnten durchgemacht hat, wird schmerzlich bewusst.

Apropos Kulturverlust: Die Originalaufnahmen des „Tages von Potsdam“, mit dem Hitler kurz nach der Machtergreifung die Versöhnung mit den alten preußischen Eliten feierte und verstärkte, gehören zu den dunklen Seiten der Ausstellung, die ein wenig am Rande laufen, gleichwohl sehr eindrucksvoll sind. Am selben Tag von Potsdam wurde auch der erste Häftling ins KZ Oranienburg eingeliefert, wie von Specht berichtet.

In der Regel überzeugt die Ausstellung immer dann, wenn sie ihre Suche nach Identität und Schönheit aufgibt und sich diesen dunklen Seiten der Geschichte stellt. Der Abriss der Potsdamer Garnisonkirche, zu sehen auf einem Lehrfilm für Sprengtechniker, gehört dazu – auch wenn in der Ausstellung etwas zu sehr betont wird, wie böse und falsch Hitler das militärische Erbe Preußens für den Nationalsozialismus instrumentalisiert habe: Preußen und Brandenburg bot eben diese Möglichkeit, schuldlos ist die autoritäre Geschichte der Mark da nicht.

So lohnt sich, alles in allem, die Fahrt nach Potsdam: der Exponate wegen. Die Ausstellung wird recht bald wieder zerpflückt werden, denn es ist noch nicht die endgültige Schau für das Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte. Die Dauerausstellung kommt erst 2003. Viele der prächtigen Objekte, die jetzt zu sehen sind, werden dann wieder an ihrem ursprünglichen Platz irgendwo in Brandenburg gezeigt.

Haus der brandenburgisch-preußischen Geschichte, Potsdam, Kutschstall/Am Neuen Markt, bis 11. November, täglich von 10 bis 19 Uhr. Eintritt: 6, erm. 4 Mark, mittwochs freier Eintritt