Privatisierung als Königsweg

Genossen zu Eigentümern: Seit vergangenem Jahr gilt in Berlin eine neue Förderrichtlinie, die die Gründung so genannter „eigentumsorientierter“ Wohnungsgenossenschaften begünstigen soll

von VOLKER ENGELS

Der Gedanke ist nicht neu und hat seine Ursprünge in Zeiten, in denen Wohnraum knapper war: Mehrere Menschen legten ihr Geld zusammen und gründeten eine Genossenschaft. Sie kauften oder bauten die Wohnungen in weitgehender Eigenregie und profitierten von günstigen Mieten und einem hohen Maß an Selbstverwaltung. Der individuelle Anteil am gemeinsamen Besitz war schon damals eher fiktiver Natur, denn die selbst genutzte Wohnung durfte nicht verkauft werden; nur die Genossenschaftsanteile konnten veräußert werden. Doch als Geldanlage war diese Gesellschaftsform ohnehin nicht gedacht.

Die Zeiten haben sich geändert: Seit dem vergangenen Jahr gilt in Berlin nun eine neue Förderrichtlinie, die ausschließlich die Bildung von eigentumsorientierten Genossenschaften begünstigen soll. Wohnungsgenossenschaften treten als so genannte Zwischenerwerber auf, die die einzelnen Wohnungen, sofern eine Mehrheit der Genossen dafür stimmt, später an interessierte Genossenschaftsmitglieder verkaufen können. Aus dem Gemeinschaftseigentum, das am Anfang der Genossenschaftsgründung steht, kann also Privateigentum werden. Die Idee, die hinter diesem Konzept steckt, ist einfach: Eigentümer sind – anders als Mieter – an ihren Kiez gebunden und wandern nicht ins Umland ab. Diese „Wanderungsverluste“ führen nämlich nicht nur zu einem größeren Angebot an freien Parkplätzen sondern vor allem zu weniger Steuereinnahmen für die Stadt.

Um auch Mietern, die wenig Geld in der Tasche haben, den Wohnungskauf zu ermöglichen, stellt die Investitionsbank Berlin (IBB) zinsgünstige Kredite und Zuschüsse zur Verfügung. Vor allem aus solchen Mietern, die in Wohnungen der städtischen Wohnbaugesellschaften leben, sollen mittelfristig Eigentümer werden: Immerhin fünfzehn Prozent dieser Wohnungen müssen privatisiert werden. Bis zum Jahr 2004 sind davon mehr als 20.000 Wohnungen betroffen, vor allem im Westteil der Stadt. Besonders nachdem der soziale Wohnungsbau praktisch eingestellt wurde, weil die Wohnungsversorgung als gut eingeschätzt wird, gilt die Privatisierung dem Berliner Senat als Königsweg. Das Ziel: Die Eigentumsquote in der „Mieterhauptstadt“ Berlin soll von bislang rund 11,5 auf 20 Prozent gesteigert werden.

Noch in diesem Jahr könnte das Wohnen in eigentumsorientierten Genossenschaften einen deutlichen Schub erleben: Fördermittel in „erheblichem Umfang“, heißt es aus dem Bausenat, wird die Investitionsbank Berlin (IBB) noch in diesem Jahr als Darlehen an neue Genossenschaften freigeben. Gefördert wird die Neu- bzw. Ausgründung eigentumsorientierter Wohnungsgenossenschaften durch Zuschüsse, der Erwerb von Geschäftsanteilen durch zinslose Darlehen sowie der Erwerb von Wohnungsbeständen durch zinsverbilligte Darlehen. Für jede Wohnung, die in den Bestand der Bewohnergenossenschaft überführt wird, steuert der Senat bis zu 1.000 Mark bei. Die Höchstgrenze der Zuschüsse liegt aber bei 50.000 Mark. Der Förderschwerpunkt soll dabei in Gebieten mit besonderem städtebaulichen Entwicklungsbedarf liegen. Dazu zählen Sanierungs- oder Quartiersmanagementgebiete, aber auch Plattenbausiedlungen.

Genossenschaften, mit oder ohne Eigentumsorientierung, sind nach Einschätzung von Wolf Schulgen bei Mietern beliebt: „Wir wissen“, meint der Abteilungsleiter beim Bausenat, „dass die Fluktuation in diesen Wohnungen deutlich geringer ist, weil die Mieter große Gestaltungsmöglichkeiten haben und sich stärker mit ihrem Zuhause identifizieren als normale Mieter.“ Die Genossen würden etwa stärker bei der Verbesserung des Wohnumfeldes einbezogen, Reklamationen würden schneller bearbeitet. Das führe dazu, „dass die Mieter von Genossenschaftswohnungen deutlich zufriedener sind“. Zumindest theoretisch sind Genossenschaften dem Demokratieprinzip verpflichtet: Unabhängig davon, wie viel Genossenschaftsanteile ein Mitglied gezeichnet hat, verfügt es bei der Mitgliederversammlung über nur eine Stimme. Ein weiterer Vorteil von klassischen Genossenschaftswohnungen besteht darin, dass die Gefahr einer Eigenbedarfskündigung, mit denen mancher Mieter rechnen muss, kaum eine Rolle spielt.

Bei eigentumsorientierten Genossenschaftswohnungen, die irgendwann in Individualeigentum umgewandelt werden können, sind eben solche Eigenbedarfskündigungen möglich – allerdings erst in einigen Jahren und auch nur, wenn sich die Mehrheit der Genossenschaftsmitglieder für den Privatisierungsweg entschieden hat (siehe Interview unten). Doch dass aus einem gemeinwohlorientierten Genossen ein profitorientierter Unternehmer wird, ist wohl niemals ganz auszuschließen.

Der „Berliner Gründungsleitfaden für Wohnungsgenossenschaften 2001“ ist gegen eine Schutzgebühr von 20 Mark bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung unter Tel. (0 30) 90 12-68 69 zu beziehen.