„Der war einer von uns“

Am 9. August töteten fünf junge Männer in Dahlewitz einen Obdachlosen. Ein rechtsextremes Motiv? Die Staatsanwaltschaft sagt: Nein. Eine rechte Szene? Der Vizebürgermeister sagt: Nein. Doch rechte Jugendliche zählen einen der Täter zu ihrer Clique

„Dieter M. war ein ganz Ruhiger, nur zu viel getrunken hat er.“

aus Dahlewitz HEIKE KLEFFNER

Das Schloss an der Datsche, die sich hinter dichten Ahornbäumen, Stauden und Hecken duckt, ist neu. Eine Sperrholzplatte versperrt den Blick durch das zerbrochene Fenster. Über der Eingangstür mit dem aufgebrochenen Polizeisiegel hängt ein verstaubtes Hirschgeweih. Davor hat jemand eine ungeöffnete Dose „Schloss-Bier“ gestellt, die verkauft der Supermarkt im Dorf für 69 Pfennige. Ein letzter Abschiedsgruß an Dieter M.

Über ein Jahr hat der 61-Jährige in dem niedrigen Häuschen gelebt. Bis zum 9. August, als nachts fünf junge Männer den Wehrlosen bewusstlos prügelten. Gestorben ist Dieter M. im Gebüsch, in das die Angreifer seinen regungslosen Körper zerrten, bevor sie verschwanden. Nur ein Schritt über den kniehohen Gartenzaun trennt den Ort, an dem Dieter M. starb, von der Welt derer mit ordentlichem Wohnsitz und Einkommen in dem 1.500-Einwohner-Dorf namens Dahlewitz knapp 30 Minuten Autofahrt von der Berliner Innenstadt entfernt. Die Arbeitslosenquote ist hier mit 11 Prozent vergleichsweise niedrig, seit Rolls Royce ein Flugzeugmotorenwerk auf die Wiese baute.

Bis vor ein paar Jahren gehörte auch der Mann, den seine Freunde „Igel“ nannten, noch irgendwie dazu. Da hatte er zwar seinen Job in der Dahlewitzer „Mühle“ längst verloren, trank viel zu viel und hatte nur noch sporadischen Kontakt zu seinen drei erwachsenen Töchtern, weil die die Alkoholeskapaden des Vaters nicht mehr aushielten. Aber die Wohnung in der Bahnhofsstraße wollte er trotz Schulden behalten. Bis die Gemeinde als Eigentümerin des dreistöckigen Hauses die Sanierung beschloss und alle Mieter gehen mussten. Dieter M. zog als Letzter aus. Zuerst schlief er manchmal im Hühnerstall hinter dem Haus und – als der einem schönen, neuen Gartenschuppen weichen musste – in dem benachbarten Gartenbungalow. Die Männer, die ihn fast täglich zum Trinken und Zeittotschlagen trafen, glauben, dass M. sich einfach nicht von dem Ort trennen konnte: „Wenn der Dieter noch leben würde, hätte er den Müll hier längst wieder weggeräumt.“

Aus der Tür des nun makellos blassgelb gestrichenen Mehrfamilienhauses huscht ein junger Mann im Skinhead-Look. Über den Toten will er nicht reden, genauso wenig wie über seinen Nachbarn Dirk R. Dessen Name steht noch an einem der Briefkästen des Hauses. Der 21-Jährige war erst im Mai in das Haus eingezogen, seit zwei Wochen sitzt er in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft Potsdam geht davon aus, dass er gemeinsam mit vier Bekannten aus den nahe gelegenen Kleinstädten Mahlow und Blankenfelde für M.s Tod verantwortlich ist, und ermittelt wegen Totschlags. Auf die Frage nach dem Motiv der 17- bis 22-Jährigen gerät die Sprecherin der Staatsanwaltschaft kurz ins Stocken: „Die haben sich durch den Obdachlosen gestört gefühlt“, sagt Sigrid Komor dann. Ziel des Angriffs sei es nicht gewesen, M. zu töten, sondern ihn aus dem Garten zu vertreiben. „Irgendwie“ sei die Situation dann eskaliert. Auf die Frage nach einer möglichen rechten Einstellung der Täter oder einer in der rechtsextremen Ideologie von „lebensunwerten Asis“ begründeten Motivation für die Tat wird Komor energisch. Keinerlei Anzeichen gebe es dafür. Um sich von einem Obdachlosen gestört zu fühlen, müsse man nicht rechts sein.

Dieter M.s Freunde sagen, er habe niemanden gestört. „Der war ein ganz Ruhiger, nur zu viel getrunken hat er, und sein Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen.“ Das bestätigt auch Vizebürgermeister Peter Rink (CDU): Der 61-Jährige sei der einzige Obdachlose im Dorf gewesen, und die kleine Rente, die er bekam, habe sich immer schnell in Alkohol aufgelöst. Hilfsangebote der Gemeinde habe er abgelehnt. Für Rink ist sein Tod „unfassbar und schrecklich“. Auf die Täter angesprochen, macht er sich Luft: Vier von ihnen kämen ja nicht aus Dahlewitz, und Dirk R., der selbst aus sozial labilen Verhältnissen komme, sei erst vor kurzem zugezogen.

Auch M.s Freunde meinen, dass Dirk R. kein Rechter gewesen sei. Stress hätten sie trotzdem mit ihm gehabt. Schon einige Wochen vor dem Überfall sei er mit Freunden in das Gartenhäuschen eingedrungen und habe einen ihrer Kumpel dort bedroht. Und am Abend kurz vor dem Überfall sei die Gruppe vor dem Haus eines Bekannten aufgetaucht und habe sich prügeln wollen.

Auf die Frage, welcher Szene sich die Täter zugehörig fühlten, erhält man in Dahlewitz und Umgebung unterschiedliche Antworten. Eine linke Jugendgruppe namens „RedSideZ“ aus Blankenfelde glaubt, zumindest einer der Täter, der 22-jährige Dirk B. aus Mahlow, könne durchaus der rechten Szene zugeordnet werden. Im vergangenen Winter habe sich im Blankenfelder Jugendclub häufiger eine Gruppe von Rechten aus der Umgebung getroffen, darunter auch der durch Military-Klamotten auffällige Dirk B. Das wird von anderen Clubbesuchern bestätigt, doch „rechts ist der Dirk nicht gewesen“, sagt eine 18-Jährige, die enger mit ihm befreundet war. „Der war ganz lieb und hat sich nur so angezogen, weil er Streß mit den Glatzen hatte“. Fragt man die rechte Jugendclique, die sich abends zum Bier ein Dorf weiter am Mahlower Bahnhof versammelt, nach Dirk B., erntet man Gelächter. „Der war einer von uns“, sagt ein Mädchen mit Lonsdale-Sweatshirt selbstbewusst. Die Jungs mit den kurzgeschorenen Haaren nicken.

Der Dahlewitzer Vizebürgermeister Rink meint, eine rechte Szene gebe es in seinem Dorf nicht. Allenfalls Skinheads, die freitagabends aus Rangsdorf oder dem angrenzenden Mahlow zu Besuch kämen. „Aber wir können ja keine Mauer ums Dorf ziehen.“ Im Dahlewitzer Jugendclub, der erst im Februar geöffnet wurde, könnte er sich vom Gegenteil überzeugen. Ganz oben auf dem CD-Stapel neben der Musikanlage liegt eine Raubkopie der neuen „Landser“-CD. Die steht zwar wegen ihrer rassistischen und rechtsextremistischen Lieder auf dem Index, wie alle CDs der Neonaziband, aber das scheint hier niemanden zu stören. Die 24-jährige Erzieherin Mandy I., die hier als ABM-Kraft arbeitet, ist mit ihrem „Pitbull Germany“-T-Shirt äußerlich von ihren Schützlingen kaum zu unterscheiden. Bei den jungen Männern überwiegen die in der rechten Jugendszene beliebten „Lonsdale“-Klamotten, Bomberjacken und Kurzhaarschnitt, knapp vor Glatze. Nur die Mädchen durchbrechen mit einem Mix aus buntem Tekkno- und „Stino“-Stil den Einheitslook.

Fragen nach einem Konzept für ihre Jugendarbeit kann Mandy I. nicht beantworten. „Das Papier liegt zu Hause.“ Ihre Schützlinge sind weniger auf den Mund gefallen. Wortreich und lautstark beschweren sie sich darüber, dass ihr Treffpunkt in die rechte Ecke gestellt wird. „Wir sind ganz normal und wollen hier nur Spaß haben“, betont eine 17-Jährige. Deshalb hätten sie die ehemalige Lagerhalle auch „Just for Fun“ getauft. Den Tod von Dieter M. verurteilen alle einhellig, die Täter will hier niemand kennen. Als Harry mit dem „Walhall-Germany“-T-Shirt sagt: „Wenn die Rechte wären, hätte ich sie gekannt“, versucht Betreuerin Mandy I. die eintretende Stille mit einem Lachen zu überspielen.

Auf dem Weg zwischen Jugendclub und dem Ort, an dem Dieter M. starb, steht eine Schautafel des CDU-Ortsverbandes. Darauf lächelt eine blonde Schönheit im Badeanzug. Neben ihr steht: „Manchmal gibt es das Recht auf Faulheit. Deshalb: Schöne Ferien“.