In der Servicewüste:Wir sind bedient!

Ein schönes Wochenende im Land des Muffelns: Übernachtung mit Frühstück in einem ganz normalen deutschen Mittelklassehotel und mittendrin der Gast als Störfaktor

Das Maskottchen hat ein schwarz-puterrot-güldenes Gesicht aus den Grenzen Deutschlands. Es zieht – sehr, sehr breit grinsend – das Maul schief von links unten (Saarland) nach rechts oben (Mecklenburg-Vorpommern), kneift das linke Auge zu und plinkert mit dem rechten da, wo Berlin liegt. Je nach Sichtweise könnte man diese Fratze debil oder verkrampft nennen. Das Maskottchen – wie heißt es übrigens? – ist Werbeträger der hastig ins Leben gerufenen Imagekampagne „Reiseland Deutschland – nix wie hin!“ Mit diesem Slogan wirbt die Deutsche Zentrale für Tourismus (DZT) weltweit für ihr „Jahr des Tourismus 2001“. Es ist eine konzertierte Aktion von Parlament, Bund, Ländern, Verbänden und der Tourismuswirtschaft.

Die Deutschen sind nicht nur Spitze im Verreisen, sondern auch hierzulande ist die Reisebranche ein bedeutender Wirtschafszweig: An ihm hängen 2,8 Millionen Arbeitsplätze, 50.000 Hotels und Pensionen, 180.000 Restaurants und Gaststätten, mehr als 18.000 Reiseveranstalter und Reisebüros, 6.000 Busveranstalter, die Deutsche Bahn AG, städtische und regionale Informationsbüros für Touristen. So weit die Habenseite.

Kommen wir zum Soll: Miesepetrige Kellner, herrische Pensionswirtinnen, Broschürenterror und touristische Kirchturmspolitik, Stadtinformation geschlossen, lange Wartezeiten, unpünktliche Züge, Dusche und Bad auf dem Flur, einfallslose Schnitzelkost, saftige Preise, Kurtaxe, bescheidenes Wetter. Stern-Reporter Wolfgang Röhl weiß: „Das deutsche Reiseland muss sich endlich eingestehen: Es hat kein Problem, es ist das Problem.“ Land des Muffelns, Servicehölle Deutschland, Entwicklungsland im Dienstleistungsgewerbe.

Der Gast als Störfaktor. Zum Beispiel wir am letzten Wochenende. Ein Ort im Südwesten der Republik, da, wo es viele Bäder gibt. Anlass unserer Reise ist ein Hochzeitsfest. Eine schnuckelige Dorfkirche, die Braut in Weiß, Autokorso durchs idyllische Flusstal, strahlender Sonnenschein, jede Menge Speis und Trank im Rittersaal der romantischen Burg.

Beschwingt und bettschwer fahren wir nachts zurück ins nahe gelegene Hotel. Nennen wir es der Einfachheit halber „Krone“. Auch der nächste Morgen, ein Sonntagmorgen, ist zunächst ein guter Morgen. Der Blick aus dem Zimmerfenster im dritten Stock fällt auf schroffe Felswände und üppige Weinberge. Es ist so schön, dass wir über den Preis großzügig hinwegsehen können: 175 Mark kostet das schmucklose Doppelzimmer mit WC/Dusche, schimmelige Fugen zwischen den altrosa Kacheln inbegriffen. Aber wenigstens die Kurtaxe ist schon im Preis enthalten.

9.30 Uhr. Der miefig-enge Aufzug in dunkelbraunem Holzimitat bringt uns zwei Etagen tiefer zum Frühstücksraum. Weiße Raffgardinen, weiße Tischdecken, weiße Wände. Nüchtern wie im Sanatorium. Ein Speisesaal, der sich seit den Fünfzigerjahren treu geblieben ist. 20 Tische gibt es, davon sind 3 besetzt. „In einer Bar in Mexiko“ quäkt der Lautsprecher, zwei Lieder später wird er uns mit „Auf dem Karussell fahren alle gleich schnell“ beglücken. Rechter Hand ist das Frühstücksbuffet aufgebaut. Das Übliche: Marmeladen- und Honigdöschen aus Plastik, dergleichen Butter und Margarine, die hart gekochten Eier unter kariertem Tuch im Bastkorb, aufgeblähte Turbobrötchen, Mortadella mit Clownsfratze und zart gewellte Edamerscheiben. Dazu die Schmalspur-Cerealienvariante und dünner Orangensaft.

„Sie wollen doch Kaffee!“, fragt die Bedienung mürrisch aus der Tiefe des Raums. Wir wagen zu widersprechen. „Eigentlich möchten wir Tee.“ Sichtlich verärgert dreht sie ab und geht stumm in die Küche. Auf den Tischen stehen schließlich schon schwarze Thermoskannen mit Kaffee! Wahrscheinlich schon beim Dienstbeginn um 7.30 Uhr gebrüht. Unter den Argusaugen der Bedienung, die hoppladihopp einen Teebeutel in die Kanne befördert hat, setzen wir uns zu Freundin Hildegard und ihrer sechsjährigen Tochter Nadine, zwei weiteren Hochzeitsgästen.

Geräuschvoll beginnt die Frühstücksbeauftragte, die Nachbartische abzuräumen. Von 8 bis 10 Uhr dauert die Frühstückzeit, bedeutet sie uns. Danach ist Feierabend. Auch am Sonntag. Das deutsche Beherbergungswesen der Mittelklasse kennt kein Pardon. Wer zu spät kommt, muss eben bis zum Nachmittagskaffee warten.

Die kleine Nadine spielt mit zwei Plastik-Eierlöffeln am Tisch. Als sie, die Löffel noch in der Hand, die angrenzende Hotellobby erkundet, stürzt unsere Bedienung hinterher und entreißt dem völlig verdutzten Mädchen die Löffelchen: „Die Eierlöffel gehören in den Frühstücksraum.“ Nadine erleidet den frühkindlichen Hotelschock.

Um fünf vor zehn betreten zwei weitere Hochzeitsgäste, ein junger Mann und seine Freundin, den Raum und grüßen freundlich. „Sie sind aber ganz schön spät dran!“, faucht unser Frühstücksdrachen. Das junge Paar guckt konsterniert, ja eingeschüchtert, und sucht sich hastig einen Tisch. Zum Glück sind wir schon fertig, als die Frühstücksbeauftragte Punkt 10.30 Uhr unseren Tisch demonstrativ abräumt. „Ich muss für morgen früh eindecken“ ist ihr einziger Kommentar. Deutschland, einig Servicewüste!

Kleine Frühstücksszenen, keine besonderen Vorkommnisse. Der ganz gewöhnliche deutsche Hotelalltag – immer noch. „Kundenfeindlichkeit ist ein Teil der deutschen Kultur und der Umgangsformen“, beobachtete der japanische Unternehmensberater Minoru Tominaga ganz richtig und verzweifelte an den Umgangsformen des Bedienungspersonals in deutschen Möbelketten, Kaufhäusern und Hotelbetrieben. Und der Tourismusexperte Professor Albrecht Steinecke (Universität Paderborn) meint: „Was den Deutschen fehlt, ist die Dienstleistungskultur. Die Zauberworte sind für mich: ‚Ja.‘ ‚Gerne!‘ und ‚Kein Problem!‘ Wie oft hört man das in Deutschland? So gut wie nie!“

Wir jedenfalls sind bedient. Wenig später verlassen wir unsere „Krone“. Am Eingang sehen wir noch die Plakette: „Vom ADAC Schlummer-Atlas 1996/97 empfohlen!“ Im Panoramafenster des ebenerdigen Speisesaals preist sich das Hotel selbst: „Fürstlich leben und genießen!“

Aus einem Reisebus quälen sich einige Senioren und Seniorinnen. Der Busfahrer schleppt die Koffer zum Hoteleingang. Die „Krone“ hat 63 Zimmer, davon 41 Einzelzimmer. Also ideal für ältere Bustouristen, die sich einzeln betten wollen. Im Geiste sehen wir, wie sie der Frühstücksdrachen am nächsten Morgen anbellt. ASTRID REICH/
GÜNTER ERMLICH

Info: Mehr über das Reiseland Deutschland unter www.deutschland- tourismus.de