: Ungezählte Staatsstreiche
In Zürich wurde Wole Soyinkas Politgroteske „King Baabu“ zum ersten Mal in Europa aufgeführt. Der Skandal des Stück liegt – recht besehen – in der Vergegenwärtigung seiner Produktionsbedingungen
von CHRISTIANE KÜHL
Für Alfred Jarry war die Sache ein Spaß. Da gab es diesen verhassten Physiklehrer, der ihn und die ganze Klasse ständig tyrannisierte. Also schrieb der Gymnasiast eine Satire, aus der die Despotengroteske „Ubu Roi“ erwuchs. Die Uraufführung 1896, der Autor war gerade 23 Jahre alt, wurde ein veritabler Skandal. Statt des eben aufkommenden Naturalismus wurde ein Vorläufer des Dadaismus präsentiert und dazu wagte es jener König Ubu, auf einer Pariser Bühne ein Wort zu gebrauchen, das stark nach dem französischen Begriff für „Scheiße“ klang.
Für Wole Soyinka war die Sache kein Spaß. Dreiunddreißig Jahre Militärregime in Nigeria haben ihn und seine Landsleute weit mehr als schlechte Zeugnisse gekostet. Wole Soyinka, Dramatiker, Essayist und Politaktivist, kosteten die Despoten zweiundzwanzig Monate Einzelhaft, eine Anklage wegen Landesverrats und zehn Jahre Exil. Seinen Kollegen Ken Saro-Wiwa kosteten sie das Leben. Das ganze Land, so Soyinka in seiner Anfang des Jahres erschienenen Analyse „Die Last des Erinnerns“, zahlte mit der Degradierung „einer potenziell großen Nation zur Bettelrepublik“, in der auch drei Jahre nach der Wende zur Demokratisierung „nichts mehr funktioniert, in der das tagtägliche Leben kurz und brutal ist, in der die Menschlichkeit, die unsere Jugend prägte, zu einem Sumpf aus Verdächtigung, Hass und Raubsucht verkommen ist“. Trotzdem hat der 67-Jährige, der 1986 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurde, sein jüngstes Stück über die Despotie in Afrika nach Alfred Jarrys Pennälerspaß geschrieben – als Groteske europäischen Vorbilds.
Kolonialkopie
Das Konzept ging – zumindest bei der Europapremiere von „King Baabu“ am Mittwoch in Zürich – nicht auf. Dabei macht das Verfahren, afrikanische Realität an Hand eines europäischen Modells zu beschreiben, in diesem Fall historischen Sinn; auch wenn diese Methode dem in England ausgebildeten Nigerianer seit den Sechzigerjahren wiederholt von Anhängern der Negritude angekreidet wird. Das größte Verhängnis der postkolonialen Gesellschaften liegt nach Soyinkas Auffassung nämlich exakt darin, dass diese die Strukturen der Kolonisatoren internalisiert haben und nach deren Abzug kopieren. Insofern ist es nur konsequent, King Baabu in die direkte Nachfolge des dummdreisten, ebenso schwachsinnigen wie machtsüchtigen Königs Ubu zu stellen.
Als Problem erwies sich jedoch, dass Baabu, seinem literatischen Vorbild entsprechend, keine scharfe Karikatur, sondern eine Witzblattfigur ist. Mag sein, dass das Lachen über einen größenwahnsinnigen Putschisten in Afrika heute kathartische Wirkung hat. In einem Interview während der Proben in Badagry erklärte Soyinka einem Journalisten, dass er mit seinem Stück einen ähnlichen Effekt wie die öffentlichen Anhörungen der nigerianischen Wahrheitskommission erreichen wolle: den Glamour und Mythos des Militärs zu zerstören, indem die Generäle „auf ein tief unter den Menschen liegendes Niveau degradiert“ würden.
Mit den Augen rollen
Außerhalb Afrikas aber, wo die britisch-nigerianisch-schweizerische Koproduktion unter der Regie des Autors länger als in Nigeria touren wird, bestätigt sie in vielen Aspekten nur das neokoloniale Bild vom schwarzen Kontinent und seinem Theater. Schon in der ersten Szene grooven Soldaten zum Ghettoblaster, als Bühnenbild steht eine Wellblechkonstruktion, ausnahmslos alle Mächtigen sind korrupt, doch noch die fiesesten Sadisten rollen lustig mit den Augen. Mit dem Ansatz des Kurators Okwui Enwezors, „Bildern, die der Kolonialismus hinterlassen hat, eine neue Sicht entgegenzusetzen auf das, was afrikanische Identität sein könnte oder sein wird“, hat diese Art der Inszenierung allerdings wenig zu tun.
Erzählt wird die Geschichte des Generals Basha Bash. Die Zahl der Staatsstreiche, an denen er beteiligt war, kann er nicht mehr zählen, was zum einen daran liegt, dass es verdammt viele waren, und zum anderen daran, dass er nicht zählen kann. Macht nichts, zum Denken hat er seine Frau. In guter Tradition lässt diese Lady Macbeth ihn wissen, dass ein Putsch mehr oder weniger für das Volk auch keinen Unterschied mehr mache – für sie persönlich daraus aber eine Reihe von Vorteilen erwachsen könne, wenn er selbst an der Spitze der Nation stehe. „You make sure of a plughole through centre of forehead and you pick any ministry you want.“ So wird aus Basha Bash King Baabu.
Die gewaltsame Machtübernahme steht in einer altbekannten, langen europäisch-afrikanischen Tradition, wird allerdings von aktuellster Rhetorik begleitet. Alles muss unter dem Label Demokratie laufen. „The key is: civilianize!“ Mit seiner Operation „Fill the stomach“ zieht Baabu Kirche und Gewerkschaften auf seine Seite, und mit dem Slogan „Re-invent the Continent“ – plus zwanzig gegrillten Kühen und drei spontanen Feiertagen – überzeugt er das gemeine Volk. Damit er es freilich ungestört ausnehmen kann, muss nur noch die internationale Gemeinschaft ruhig gestellt werden. Nichts leichter als das: Man preise Tradition als Modell der Zukunft, nenne sich „Indigenous Monarchy“ und verfasse eine Konstitution. Da kennt der UN-erprobte Schwager sich aus: „The constitution will legitimize whatever you do.“
Es sind diese Hiebe auf die heuchlerische Moral der „internationalen Gemeinschaft“, die mit hohlen Formeln so korrumpierbar ist wie Bananenrepubliken mit Cash, die „King Baabu“ als einen Text von heute erkennbar machen – aktuell überprüfbar an der parallel zu den Zürcher Aufführungen stattfindenden UN-Rassismuskonferenz im südafrikanischen Durban, wo die USA wieder einen schönen Vorwand fanden, nicht teilzunehmen, und sich unter Umständen der Forderung nach Wiedergutmachung der Sklaverei ausgesetzt zu sehen. Doch diese Spitzen machen nur einen Teil der zweieinhalbstündigen, episch angelegten Inszenierung aus, deren afrikanisch-englischer Sprachwitz das hiesige Publikum überfordert. Dass „baabu“ in der Sprache der Haussa „leer“ bedeutet, ist so ungeläufig wie „pax baboonia“, der Affenfrieden.
Wole Soyinka, der Mann mit den fünfzig Ehrendoktortiteln, verfügt über einen so differenzierten Wortschatz, dass ihn die Richterin bei seiner Anhörung am 19. Juli vor der Wahrheitskommission ausdrücklich aufforderte, sich einfacher auszudrücken. Dieses so genannte Oputa-Panel sowie die aktuellen Fragen von Versöhnung und Wiedergutmachung, denen Soyinka „Die Last des Erinnerns“ (Patmos Verlag) gewidmet hat, werden im Stück nicht berührt. Es endet mit der Vergiftung King Baabus, derselben Todesursache, der vermutlich auch der letzte nigerianische Diktator, Sani Abacha, erlag.
Nummernkonto
„King Baabu“ ist eine Persiflage auf afrikanische Diktaturen, die das Drama, das an Baabus Totenbett gleich den nächsten Putschisten stellt, als endlos beschreibt. Der Skandal, den dieses Stück im Zuschauer auslösen sollte, liegt in der Vergegenwärtigung seiner Produktionsbedingungen: uraufgeführt in Nigeria, das sich – nur ein Beispiel – mit dem Gesamtkontinent weniger als ein Prozent der weltweiten Internetanschlüsse teilt; nun gezeigt in der Schweiz, in der das Bruttoinlandsprodukt etwa x Mal so hoch ist und alle Bashas dieser Welt über flotte Nummernkonten verfügen. Dass diese Länder (Deutschland, wo „King Baabu“ nächsten Monat im Forum Freies Theater Düsseldorf gastiert, ist natürlich genauso gemeint) parallel existieren, ist der eigentliche Skandal. Keine Persiflage, eine Tragödie – und eine Staatsaktion: Der Schweizer Bundespräsident Moritz Leuenberger und nicht weniger als dreihundert Schweizer Diplomaten auf Heimaturlaub besuchten die Aufführung.
Wole Soyinka war nach Genua eingeladen, dem G-8-Gipfel Vorschläge zur Afrikapolitik zu unterbreiten. Da er mitten in den Proben steckte, sagte er ab, betonte aber auch anschließend, dass er glaube, dass „da etwas Gutes herauskommen kann“. Für Interviews in Europa stellt er sich leider nicht zur Verfügung.
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