Razzia gegen prokurdische Partei

Die türkische Polizei geht massiv gegen Anhänger und Mitglieder der Hadep vor. Ergebnis: ein Toter, etliche Verletzte und hunderte Verhaftete im gesamten Land. Der inhaftierte Chef der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK), Öcalan, droht mit Krieg

aus Istanbul JÜRGEN GOTTSCHLICH

Ein Toter, etliche Verletzte und hunderte von Festnahmen sind die vorläufige Bilanz eines Wochenendes in der Türkei, an dem die prokurdische Partei Hadep versucht hatte, anlässlich des Weltfriedenstages am 1. September eine zentrale Kundgebung in Ankara durchzuführen. Die Kundgebung, bei der vor allem für einen dauerhaften Frieden in den kurdischen Gebieten des Landes demonstriert werden sollte, war bereits Tage vorher verboten worden. Während die Führung der Hadep in Ankara noch um eine Demonstrationserlaubnis kämpfte und angekündigt hatte, man werde bei Aufrechterhaltung des Verbots ersatzweise eine Pressekonferenz auf dem zentralen Platz in Ankara abhalten, verlagerten sich die Auseinandersetzungen zunächst in die kurdischen Provinzen im Südosten des Landes. In Diyarbakir, Bitlis, Van, Batman und anderen überwiegend kurdisch bewohnten Städten versuchte die Polizei, bereits die Abfahrt von Bussen, die die Hadep für die Fahrt nach Ankara organisiert hatte, zu verhindern. Dabei kam es bereits am Freitag zu heftigen Auseinandersetzungen in Diyarbakir, wo die Polizei auf 3.000 wütende Demonstranten losging und dabei auch von Schusswaffen Gebrauch machte. Die ganze Stadt wurde abgeriegelt, damit die Hadep-Busse nicht hinauskamen.

Am Samstag kreiste die Polizei dann die so genannte Pressekonferenz der Hadep auf dem Kizelayplatz in Ankara ein und nahm mehr als 700 Menschen fest. Sie wurden zunächst in einem Fußballstadion festgehalten und dann auf Gefängnisse im Umland von Ankara verteilt. Zu dem schlimmsten Zwischenfall kam es in Istanbul: Als die Beamten ein Büro der Hadep in Zeytinburnu stürmten, versuchte ein Kurde, über das Dach zu flüchten, und stürzte dabei in den Tod. In Topkapi, wo die Demonstration stattfinden sollte, nahm die Polizei unterdessen 200 protestierende Kurden fest. Gestern gab die Polizei dann bekannt, sie habe in einer Geheimoperation in Istanbul 21 Kader der PKK festgenommen, die Attentate auf PKK-Aussteiger geplant hätten.

Die Auseinandersetzungen an diesem Wochenende waren die schlimmsten Zwischenfälle seit dem Newroz-Fest im März. Im Gegensatz zu dem jetzigen totalen Demonstrationsverbot hatten die Offiziellen im März zumindest in Diyarbakir eine große Newroz-Feier erlaubt und zugelassen, dass über 200.000 Kurden in dieser Stadt zwei Tage lang zusammenkommen konnten. Seitdem hat sich das Klima nach Aussagen der Hadep, die von Menschenrechtsorganisationen bestätigt werden, zusehends verschlechtert. Zuerst verschwanden zwei örtliche Funktionäre der Hadep, nachdem man sie zur Gendarmerie in Silopi bestellt hatte, spurlos, dann wurden die Parteibüros in anderen Städten des Südostens immer wieder durchsucht und etliche Funktionäre verhaftet.

Das schlechte Klima in den kurdischen Provinzen korrespondiert mit der hinhaltenden Weigerung der Regierung, Reformen im Sinne der kurdischen Minderheit anzugehen. Kurdisch ist nach wie vor verboten.

Nach langem Schweigen hat sich vor wenigen Tagen auch Abdullah Öcalan, der auf der Insel Imrali gefangen gehaltene Chef der PKK, wieder einmal zu Wort gemeldet. Öcalan, der seine Eingabe an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg vorbereitet, drohte damit, dass im kommenden Jahr der Krieg wieder ausbrechen könnte, wenn die türkische Regierung weiterhin jede Reform ablehnt. „Wer die Hand zum Frieden ausschlägt“, ließ „Apo“ über den PKK-Sender Medya-TV erklären, „provoziert einen neuerlichen Krieg.“