„Jedes Konzert ist anders“

Martin Daske und Rainer Rubbert sind verantwortlich für das Programm der Reihe „Unerhörte Musik“ im BKA. Ein Gespräch über neue, ungefilterte Musik, ihre Unvereinbarkeit mit Kompositionen von Mozart und über die Grenzen der Zumutbarkeit

Interview BJÖRN GOTTSTEIN

taz: Worin besteht der Reiz, eine Reihe wie „Unerhörte Musik“ zu organisieren?

Rainer Rubbert: Das Besondere an dieser Reihe ist, dass jedes Konzert anders ist. Was die Leute zu hören bekommen, ist völlig ungefiltert. So wenig Einfluss wir nehmen, so unterschiedlich sind auch die Stücke. Hier wird unmittelbar gezeigt, was entstanden ist. Dafür finde ich die Ausbeute an guter Musik überraschend groß. Es gab eigentlich kein Konzert, das mir total missfiel. Es gibt immer ein Stück oder einen Moment oder einen Komponisten, der auffällt, wo man sagt: Ja, für den hat sich der Abend gelohnt, den habe ich entdeckt.

Wie viel Einfluss nehmen Sie auf die Programmgestaltung?

Martin Daske: Filtern tun wir nur, wenn es zu sehr in Richtung Jazz geht. Dafür gibt es andere Podien. Aber an einem konkreten Programmvorschlag doktern wir sonst selten rum.

Rubbert: Zum einen, weil wir das nicht wollen, aber auch, weil es finanziell nicht möglich wäre. Wir können nicht sagen: Spielt mal dieses Stück. Dann würden die Musiker sagen: Für das Geld studieren wir das nicht ein.

Also spielen die in der Regel ihr Repertoire . . .

Daske: . . . oder probieren Sachen aus, die sie woanders dann vorstellen wollen.

Rubbert: Vor zehn, fünfzehn Jahren hat die Musik des frühen 20. Jahrhunderts behutsam Einzug in den bürgerlichen Konzertbetrieb gefunden. Heute gibt es kein Philharmonikerkonzert, bei dem nicht ein Stück von Bartók oder Schostakowitsch vorkommt. Am Anfang haben wir die klassische Moderne noch mit vertreten. Mittlerweile legen wir Wert darauf, aktuelle Musik vorzustellen, Werke lebender Komponisten . . .

Daske: . . . mit einem Schwerpunkt auf Berliner Künstlern, der uns vom Senat, der die Reihe mitträgt, aber auch ein bisschen nahe gelegt wird.

Ein Komponist wie Johann Sebastian Bach stieße bei Ihnen auf Protest?

Daske: Also, wenn das thematisch gut begründet ist, dann würden wir auch Bach in Kauf nehmen. Aber es muss wirklich Sinn machen.

Rubbert: Die Zuschauer werden auch sauer, wenn plötzlich Mozart auf dem Programm steht.

Mozart wird also regelrecht ausgebuht?

Rubbert: Es hat sich mal ein Ensemble beworben, das eher gediegene Musik spielt. Wir bekamen dann Lebensläufe und Geburtsjahr und einen Komponisten, den wir nicht kannten, der war 1935 geboren. Das klang nachher wirklich wie ganz schlechter Mozart. Das war ein Staatsanwalt a. D., der sich überlegt hatte: Jetzt bin ich in Rente und fange mal an zu komponieren. Da habe ich mich so geschämt, dass ich aus dem Konzert rausgegangen bin.

Glauben Sie, mit der „Unerhörten Musik“ eine Leerstelle im Musikleben der Stadt auszufüllen?

Rubbert: Wir haben da kein besonderes Sendungsbewusstsein. Aber es macht Spaß, über die Jahre hinweg zu beobachten, wie Komponisten und Musiker sich entwickeln. Es gibt Musiker, die sich hier das erste Mal vorgestellt haben und dann einen Einstieg in die Neue-Musik-Szene der Stadt über die Reihe hier gekriegt haben . . .

Daske: . . . und die man dann in anderen Sälen wieder findet.

Der Saal des BKA ist ja nun nicht gerade für klassische Konzerte gebaut.

Rubbert: Dadurch, dass das ein Theater ist, gibt es ohnehin eine ganz besondere Konzentration auf die Bühne. Dieses Funzellicht des Konzertsaals – ein wenig dunkel im Saal, ein wenig hell auf der Bühne –, das gibt es hier nicht. Das ist hier ja wirklich ein Theaterlicht, mit Spots und wirklich ganz präziser Ausleuchtung.

Trotzdem läuft man bei einer lockeren Atmosphäre Gefahr, dass Intensität verloren geht.

Daske: Ich denke, Liegestühle sollten wir nicht aufstellen.

Rubbert: Es gab hier mal eine Publikumsbefragung von HdK-Studenten. Die Leute mögen es, dass diese strikte Trennung zwischen Bühne und Publikum gewissermaßen aufgehoben ist. Zum einen, weil die Musiker sehr nahe sind. Zum anderen, weil man mit den Musikern reden kann und sie nicht einfach so über den Bühnenausgang verschwinden

Daske: Die Musiker, die gerade nicht spielen, setzen sich auch häufig ins Publikum und hören den Kollegen zu.

Gibt es denn Sachen, die nicht gehen? Die so abwegig erscheinen, dass man sie keinem Publikum zumuten will?

Daske: So etwas wie das Stück von LaMonte Young, bei dem den ganzen Abend nur eine Fliege herumfliegt?

Zum Beispiel.

Daske: Das ist uns noch nicht angeboten worden. Die Grenzen des Zumutbaren liegen woanders. Es gab ein Konzert, da wurde das Ensemble immer lauter. Später haben sie dann angefangen, die Einrichtung zu zertrümmern. Da hat es mir irgendwann gereicht. Da bin ich dann eingeschritten.

Womit beginnt denn die neue Spielzeit?

Rubbert: Mit einem neuen Stück von Chico Mello, einem der wirklich tollen jungen Berliner Komponisten. Er hat brasilianische Radio-Seifenopern aus den Fünfzigerjahren verarbeitet. Es gibt Einspielungen von diesen wahrscheinlich sehr hysterischen Sprachaufnahmen, und drei Musiker und Sänger treten – im Zusammenhang mit diesen Einspielungen – zueinander in Kontakt. Das wird klasse werden!

Heute, 20.30 Uhr: „Unerhörte Musik“. Ensemble Intermission 3 spielt Werke von Chico Mello und Dieter Schnebel, BKA, Mehringdamm 34, Kreuzberg