Die Grünen spielen auf Zeit

Parteispitze stellt Zeitrahmen für Erarbeitung eines Einwanderungsgesetzes in Frage. Der Entwurf von Innenminister Schily ist für die Grünen nicht zustimmungsfähig. FDP-Chef Westerwelle dient seine Partei als Mehrheitsbeschafferin im Bundestag an

von SEVERIN WEILAND

Die Grünen sehen sich außerstande, das Zuwanderungsgesetz in der derzeitigen Fassung mitzutragen. Der Referentenentwurf sei in „hohem Maße unbefriedigend“, erklärte gestern nach der Sitzung von Bundesvorstand und Parteirat in Berlin die Vorsitzende der Bündnisgrünen, Claudia Roth.

Beide Gremien hatten zuvor einstimmig einen Beschluss gefasst, in dem der Referentenentwurf aus dem Bundesinnenministerium als „nicht zustimmungsfähig“ bezeichnet wird. Während der Pressekonferenz gebrauchte Claudia Roth mehrmals die Formel vom „Einstieg in ein Einwanderungsgesetz“ als Ziel ihrer Partei. Auf Nachfragen ließ sie jedoch offen, was darunter genau zu verstehen ist. Jetzt gehe es darum, „Punkt für Punkt“ des Entwurfs durchzuarbeiten. Sie wollte sich auch nicht festlegen, ob die Grünen bei einer Ablehnung des Gesetzes im Bundesrat den Vermittlungsausschuss anrufen würden. Über „Was wäre dann?“ wolle sie nicht spekulieren.

Roth betonte allerdings, dass das Projekt eines Einwanderungsgesetzes ihrer Partei „sehr, sehr wichtig“ und ein mit der Identität der Grünen verwurzeltes Thema sei. Vorerst offenbar abgerückt sind die Grünen von einer kürzlich öffentlich vorgetragenen Überlegung des innenpolitischen Sprechers ihrer Fraktion, Cem Özdemir, den arbeitsmigrationspolitischen Teil aus dem Gesamtgesetz herauszuschneiden und zunächst nur diesen Teil noch bis 2002 zu verabschieden. Man habe in den Gremien nicht darüber diskutiert, „jetzt etwas abzutrennen“, sagte Roth.

Am Freitag wollen sich die Parteichefs Roth und Fritz Kuhn mit Bundesinnenminister Otto Schily treffen, zu Beginn der kommenden Woche die gemeinsame rot-grüne Arbeitsgruppe zu Migration. In der jetzigen Fassung ergeben sich aus Sicht der Grünen eine „Reihe von erheblichen Verschlechterungen für hier lebende Migrantinnen und Migranten sowie für Flüchtlinge“. Diese seien „nicht aktzeptabel“.

Unter anderem wird dem Entwurf vorgehalten, die Stellung geduldeter Flüchtlinge gegenüber der jetzigen Rechtslage zu verschlechtern. Bei der geschlechtsspezifischen und nichtstaatlichen Verfolgung falle er hinter EU-Maßstäbe nach der Genfer Flüchtlingskonvention zurück. Beim Nachzugsalter für Kinder führe er durch die Schlechterstellung von Familien mit niedrigem Einkommen ein „Zweiklassenrecht“ ein. Der Entwurf schaffe auch Rechtsunsicherheit beim Übergang von einem befristeten zu einem dauerhaften Aufenthalt für bereits hier lebende Migranten. Roth mahnte gestern mehr Zeit für Beratungen an und stellte den Termin – Schily will den Gesetzentwurf am 26. September im Kabinett verabschieden lassen – vorsichtig in Frage: Es scheine, dass der angedachte Zeitrahmen nicht ausreiche.

Dagegen appellierte Schily gestern an alle Beteiligten, den „sehr straffen Zeitplan“ einzuhalten. Unterdessen sieht die Unionsfraktion vorerst keinen weiteren Gesprächsbedarf mit der Bundesregierung.

Nach einer Klausur des Geschäftsführenden Fraktionsvorstandes erklärten Friedrich Merz und Michael Glos gestern in Berlin, die rot-grüne Koalition solle sich zunächst einmal auf einen eigenen Entwurf einigen. Die Bundesregierung müsse der Union aber noch erheblich entgegenkommen.

Erst am Wochenende hatten Schily, Bayerns Innnenminister Günther Beckstein (CSU) und der Saarländische Ministerpräsident Peter Müller (CDU) über den Entwurf beraten. Während Schily gestern betonte, in einigen Punkten sei eine Klarstellung erreicht worden, äußerte sich Beckstein „sehr skeptisch“ zu Einigungschancen. Er könne sich nur schwer ein Gesetz vorstellen, dem CSU und Grüne zugleich zustimmen würden.

Unterdessen bot FDP-Vorsitzender Guido Westerwelle seine Partei als Mehrheitsbeschafferin für ein Zuwanderungsgesetz an. Sollte die Union aus Wahlkampftaktik blockieren, obwohl sie in der Sache selbst nahe bei Schily liege, „muss man im Bundestag eben eine Mehrheit jenseits der Union organisieren“, so Westerwelle in einem Interview.