Wolken vor der Sonnenscheinpolitik

Die südkoreanische Regierung tritt aus Protest gegen die Entlassung des Wiedervereinigungsministers durch das Parlament zurück. Präsident Kim Dae Jung muss jetzt eine zerbrochene Koalition kitten und auf Entgegenkommen in Nordkorea hoffen

von ANDRÉ KUNZ

Für den südkoreanischen Präsidenten und Nobelpreisträger Kim Dae Jung beginnen stürmische Zeiten in der Endphase seiner Regierungszeit, die zum Jahresende 2002 abläuft. Seine international gelobte Entspannungspolitik gegenüber Nordkorea stößt im Inland auf wachsende Kritik der Opposition und der Bevölkerung. Erstes Opfer wurde am Montag der Vereinigungsminister, gestern trat das gesamte Kabinett zurück. Mit ihrem kollektiven Rücktritt protestierten die Minister gegen den erfolgreichen Misstrauensantrag vom Montag gegen Wiedervereinigungsminister Lim Dong Won. Der gilt als Architekt des „Sonnenscheinpolitik“ genannten Versöhnungskurses mit dem Norden von Kim Dae Jung.

Der innenpolitische Sturm entstand genau zu dem Zeitpunkt, als das nordkoreanische Regime nach sechsmonatiger Unterbrechung direkter Gespräche mit Seoul überraschend die Wiederaufnahme des Dialogs angeboten hatte. Das Angebot aus Pjöngjang traf ein, als Chinas Staats- und Parteichef Jiang Zemin gerade seinen zweiten offiziellen Staatsbesuch innerhalb eines Jahrzehns in Nordkorea antrat. Es wird erwartet, dass Jiang Nordkoreas Führung zu neuen Verhandlungen mit Südkorea drängen und damit den chinesischen Einfluss im Friedensprozess zwischen den beiden seit dem Koreakrieg (1950–53) verfeindeten Staaten stärken will.

In Seoul wächst längst die Frustration über den schleppenden Verlauf der Annäherung. Kritiker der „Sonnenscheinpolitik“ von Präsident Kim, die eine „Annäherung ohne Vorbedingungen“ vorsieht, sind seit Monaten in der Mehrheit, weil Nordkorea bisher keine konkreten Konzessionen gemacht hat. Seoul hoffte lange Zeit, dass sich der nordkoreanische Führer Kim Jong Il zu einem Gegenbesuch in Seoul bereit erklären könnte. Diese Hoffnungen sind spätestens seit Anfang 2001 verflogen, als die USA unter dem neu gewählten Präsidenten George W. Bush eine härtere Gangart gegenüber Pjöngjang ankündigten.

Selbst in der Regierungskoalition zwischen der „Demokratischen Millenniumspartei“ (MDP) von Präsident Kim Dae Jung und den konservativen „Vereinigten Liberal-Demokraten“ (ULD) ist ein Streit über die Nordkoreapolitik entstanden. Das Abstimmungsergebnis vom Montag signalisierte den Bruch des Bündnisses. Denn 16 von 24 ULD-Abgeordneten stimmten mit der Opposition gegen Lim.

Präsident Kim werde voraussichtlich noch diese Woche ein neues Kabinett berufen, „da ein politisches Vakuum nicht akzeptabel sei“, erklärte ein Sprecher des Präsidialamtes in Seoul. Trotz des Misstrauensantrages wolle Kim an seiner Sonnenscheinpolitik festhalten. „Das Schicksal der Nord-Süd-Beziehungen hängt davon ab, wie fruchtbar die nächsten Gespräche verlaufen. Enden sie erneut ergebnislos, dann muss Präsident Kim eingestehen, dass seine Sonnenscheinpolitik gescheitert ist“, erklärte Kang Sung Hak, Professor für Politologie an der Korea-Universität in Seoul.

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