Immer diese Widersprüche

Frühe Bilanz der Hippie-Bewegung: Alice's Restaurant von „Bonnie & Clyde“-Regisseur Arthur Penn mit dem Sound von Arlo Guthrie wieder im Kino  ■ Von Christiane Müller-Lobeck

Alice's Restaurant ist sicherlich Arthur Penns unbeholfenster Film. Unbeholfen nach den Maßstäben eines Hollywoodkinos, das auch Penn aus dem Effeff beherrscht, wie er schon 1967 mit seinem Erstling Bonnie & Clyde unter Beweis stellte. Zwei Jahre nach seinem Debüt ließ Penn nicht nur Alice's Restaurant, sondern auch Little Big Man mit Dustin Hoffman folgen. Beide Filme können als kritische Kommentare zum Vietnam-Krieg verstanden werden, doch Little Big Man war um vieles erfolgreicher als der durch die gleichnamige Ballade von Arlo Guthrie angeregte Film um eine Gruppe von Hippies in Stockbridge, Massachusetts, mit dem in die Fußstapfen seines Vaters Woody Guthrie getretenen Folksängers selbst in der Hauptrolle.

Man muss Hippies nicht mögen, und doch wird man an ihnen nicht vorbeikommen, will man den Aufbruch der 60er-Jahre verstehen. Was Penns Film von heute aus so sehenswert macht, ist die Schonungslosigkeit, mit der er schon just in dem Moment, in dem die Bewegung aufkam, ein Augenmerk auf die Bedingungen ihres Scheiterns geworfen hat. Das etwas ältere Ehepaar Ray und Alice mietet eine Kirche an, um dort mit einem Haufen jugendlicher Langhaariger ihre Vorstellungen von kollektivem Zusammenleben zu verwirklichen: like a family. Immer wieder veranstalten sie große und ausgelassene Feste, praktizieren das, was sie unter freier Liebe verstehen – von Penn freilich nur angedeutet –, sie konsumieren bewusstseinserweiternde Drogen und hören jede Menge erdige Folkmusik.

Doch schon bald tauchen Probleme auf, von denen die Gefahr, zum Vietnam-Krieg eingezogen zu werden, noch das geringste zu sein scheint. Alice eröffnet ein Restaurant und ackert dort über die Maßen für die Ernährung der Family, ihr Mann spielt sich immer häufiger als unerträglicher Patriarch auf, es gibt Eifersüchteleien, einer der Jungs kann der Versuchung harter Drogen nicht widerstehen: Woodstock ist kaum vorüber, doch Penn wirft bereits einen desillusionierten Blick zurück. Und so entspricht die oft kritisierte Holprigkeit der Dramaturgie des Films bloß dieser bisweilen unentschlossenen Haltung des damals 47-jährigen Regisseurs zu den Hippies.

Am dichtesten offenbart sich der Gestus des Films an seinem Schluss, wenn eine sich entfernende Kamera die vor der Kirche stehende Alice mehrmals heranzoomt. Die Kamera versucht an der Haltung der Hippie-Mutter und in ihrem Gesicht die Enttäuschung genau zu studieren. Doch es ist, als scheitere sie bei diesem Versuch und werde mit fortgezogen von den zahlreichen Leuten, die der Katerstimmung in der Kirche schon entflohen sind.

Penns Film hat – vermutlich ohne es zu wissen – zur Erosion der Szene, die er beschreiben wollte, ein Gutteil beigetragen. In der Kirche, die es wirklich gegeben hat, wohnten eine echte Alice, ein echter Ray. Doch so groß, wie Penn sie beschrieb, war die kleine Hippie-Kommune in Wirklichkeit nie. Es sind lediglich immer mal wieder ein paar Leute bei dem Paar vorbeigekommen, wie Arlo Guthrie 20 Jahre später zu Protokoll gab. Nach Penns Film, der streckenweise die Kollektivität der Hippies, ihr Leben überhöht hatte, um die Desillusionierung umso größer erscheinen zu lassen, konnten die Leute dem Druck der Öffentlichkeit nicht mehr standhalten: Die Gruppe fiel auseinander, die Beziehung von Alice und Ray, die offensichtlich wie Vater und Mutter für die Jugendlichen waren, zerbrach und Arlo Guthrie selbst verlor nach eigenen Aussagen eine Menge Freunde, weil sie ihn für den Star nahmen, den der Film aus ihm gemacht hatte.

Es wurde viel geschrieben über die rasend schnelle Kommerzialisierung der Hippie-Bewegung. Der Vorwurf des Ausverkaufs ist Penn aber nicht zu machen. Denn trotz seiner Stilisierungen und Übertreibungen romantisiert Alice's Restaurant nichts. Penn hat mit dem Film einen Finger auf die inneren und äußeren Widersprüche der Bewegung gerichtet. Das Publikum am Ende der 60er-Jahre wollte so etwas nicht sehen. Es blieb den Kinos fern, in denen der Film lief. Zu einem Kultfilm avancierte Alice's Restaurant erst viel später. Es sei der Lieblingsfilm seines Vaters, verriet mir ein Freund gestern. Sein Vater ist Manager von Beruf. Aber Alice's Restaurant kann weit mehr, als uns bloß davon zu erzählen, wie heutige Väter mit knapp 20 waren oder gerne gewesen wären.

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