Nichts als große Aufregung

Die Journalisten von Tehelka.com decken Schiebereien und Korruption in Indien auf – von käuflichen Kricket-Stars bis zur geld- und whiskygeilen Politprominenz. Doch der Einsatz der „Honigfalle“ wurde dem Nachrichtenportal jetzt fast zum Verhängnis

aus Neu-Delhi BERNARD IMHASLY

„Tehelka“ heißt auf Hindi „große Aufregung“. Tehelka.com ist der Name eines Nachrichtenportals, das seinem Namen alle Ehre macht. Bereits kurz nach seiner Gründung im vergangenen Jahr veröffentlichte es Videoaufnahmen von Interviews, in denen Kricket-Stars freimütig über die weit verbreitete Praxis erzählten, von Wettbüros größere Geldsummen anzunehmen, um Spiele zu „fixieren“. Dies führte zu Prozessen und Verhaftungen im In- und Ausland.

Die Aufregung hatte sich noch nicht gelegt, als Tehelka.com im Frühjahr eine noch größere Stinkbombe hochgehen ließ: Mitarbeiter hatten sich als Agenten einer britischen Firma verkleidet, die der indischen Armee Nachtsichtgeräte verkaufen wollte. In Gesprächen mit Politikern und Offizieren wurden dabei nicht nur Worte gewechselt, sondern auch Geldscheine und Whisky-Flaschen – und alles mit versteckter Kamera gefilmt.

Die Veröffentlichung der Videoaufnahmen brachten das Land an den Rand einer Krise: Die Präsidenten der Koalitionsparteien BJP und Samata mussten zurücktreten, ebenso der Verteidigungsminister, und eine Reihe von Offizieren wurden der Militärjustiz zugeführt.

Die Videos flimmerten über Wochen auf allen privaten Fernsehkanälen und führten dem Land drastisch vor Augen, was dieses immer geglaubt und nie gesehen hatte: dass Politiker und Spitzenbeamten Bares über den Tisch zogen und dafür Tipps gaben und Türen öffneten. Besonders schockierend war, dass dies im sensiblen Bereich der nationalen Verteidigung stattfand und Sicherheitskontrollen samt und sonders ausfielen.

Über Nacht wurden die Tehelka-Journalisten zu nationalen Antihelden, und der Name des Portals war bald bekannter als seine ursprüngliche Bedeutung. Die betroffenen Parteien und Politiker beteuerten vergebens, dass es sich um vereinzelte Ausrutscher gehandelt habe, und dass die Methoden der Journalisten unfair gewesen seien. Doch die Debatte um die Verhältnismäßigkeit der Mittel endete mit dem Verdikt, dass das nationale Interesse, das Ausmaß der Korruption und die offensichtliche Verführbarkeit der Politiker die Methoden rechtfertigten.

Jetzt, sechs Monate nach dem „Scoop“, ist der Streit plötzlich wieder heftig entflammt – und diesmal sitzt Tehelka auf der Anklagebank. Die Zeitung Indian Express veröffentlichte letzte Woche neue Auszüge aus den Protovideos, die zeigten, dass die Journalisten zwei Offiziere mit Prostituierten verkuppelt und deren Schäferstündchen im Hotel gefilmt hatten. Die neuerliche Debatte legte zwei Tage lang das indische Parlament lahm, viele Politiker forderten, die Journalisten umgehend zu verhaften.

Die BJP als wichtigste Regierungspartei hat von einer Anklage bisher abgesehen: Schließlich würde dann auch wieder über die inkriminierten Politiker diskutiert und die Korruption in den eigenen Reihen ein zweites Mal auf die nationale Schaubühne gebracht. Doch jetzt verurteilen im Gegensatz zum Frühjahr alle Zeitungen das Tehelka-Vorgehen. Sie werfen Chefredakteur Tarun Tejpal vor, mit der „Honigfalle“ zu weit gegangen zu sein.

Die einmütige und harsche Kritik aus den eigenen Reihen verfolgt nun zweifellos auch das Ziel, dem Staat keine Handhabe zu bieten, unabhängige Medien in ihrer Arbeit einzuschränken. Denn gleichzeitig hebt Leitartikel um Leitartikel in Sachen Tehelka auf die Fähigkeit der Medien ab, sich selber Grenzen zu setzen. Doch gerade die Enthüllungen von Tehelka hätten gezeigt, wie wichtig die Aufklärungsarbeit der Medien sei. Verglichen mit der Feststellung eines weit verbreiteten Korruptionssumpfs sei der „Missgriff“ mit den Prostituierten nichts weiter als ein „Tehelka“ – eine „große Aufregung“.