Mahnende Male

Der Film „Nacht und Nebel“ ist eines der ersten Kunstwerke gegen das Vergessen. 1955, zehn Jahre nach der Auflösung der Konzentrationslager, schuf der Regisseur Alain Resnais mit Musik von Hanns Eisler nach einem Skript von Jean Cayrol (deutsche Bearbeitung: Paul Celan) seinen 31-minütigen Dokumentarfilm.

Gegen leichter verdauliche Hollywoodformate setzte Claude Lanzmann neueinhalb Stunden Dokumentation: „Shoah“. Lanzmann begann 1974 mit den elf Jahre dauernden Arbeiten an seinem Film über die Vernichtung der europäischen Juden. Die Dokumentation besteht aus Interviews mit Überlebenden, Augenzeugenberichten von Massentötungen, Gesprächen mit Bürokraten, die den Holocaust als logistische Aufgabenstellung sahen.

Auf der Seite der bildenden Kunst zum Thema Holocaust hat sich Jochen Gerz bereits in Harburg einen Namen gemacht. Passanten versahen von 1986 bis 1993 eine als „Mahnmal gegen Faschismus“ gedachte Bleisäule mit ihren Unterschriften, die in regelmäßigen Abständen immer ein Stück weiter „in die Unsichtbarkeit versenkt“ wurde. Ähnliches sah Gerz’ Entwurf zum Berliner Mahnmal vor: 39 Stahlmasten mit der Inschrift „Warum?“ in allen Sprachen der während der NS-Zeit verfolgten und ermordeten Juden. In einem „Raum der Erinnerung“ sollten Besucher ihre Antworten aufschreiben, die später auszugsweise auf eine Stahlplatte übertragen worden wären.

Rudolf Herz und Reinhard Matz wollten mit ihrem Vorschlag die freie Fahrt der freien Bürger stören. Der Kilometer 334 auf der A 7 nahe Kassel sollte mit Kopfsteinpflaster versehen werden, was eine Drosselung des Fahrtempos auf etwa dreißig Studenkilometer erzwungen hätte. Zu Beginn der Strecke im Norden und Süden hätten Schilderbrücken auf das „Mahnmal für die ermordeten Juden Europas“ hingewiesen. Das Konzept der Künstler: Weg von der Nähe zur Reichskanzlei, dem geplanten Standort für das Denkmal, und stattdessen hinein in die Mitte Deutschlands, mitten ins deutsche Alltagsbewusstsein.

Der Schriftsteller Martin Walser hat sich entschieden gegen das Berliner Mahnmal ausgesprochen. Als „fußballfeldgroßen Alptraum“ und „Kranzabwurfstelle“ bezeichnete er die Projekte, die auf der zwanzigtausend Quadratmeter großen Fläche südlich des Reichstags entstehen sollten. Nur „Lippengebete und Heuchelei“ seien die Folge dieses Mahnmals. Er fürchtete, die Stätte würde eher Schändungen provozieren, als an das Gute zu appellieren. Gewissen sei persönlich, nicht öffentlich.

Klaus Theweleit ist Schriftsteller und Soziologe. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Faschismustheorie, Theorie der Gewalt und Gender Studies. Das Gedicht entnahmen wir mit freundlicher Genehmigung dem Buch „Zwei Entwürfe zum Holocaust-Denkmal“, herausgegeben von Matthias Reichelt, Verlag für moderne Kunst, Nürnberg 2001, 160 Seiten, 29,80 Mark. JUDITH LUIG

Dokumente und Evokationen des NS-Staats: Still aus einem Amateurfilm von 1938 [3, FOTO: NDR]; Sterbebücher aus Auschwitz [8 FOTO: KURT HAMANN]; Hundezwingerinstallation in Theresienstadt 1996, Eingangstor im KZ Auschwitz [1 und 7, FOTOS: UMBRUCH BILDARCHIV]; Szene aus Claude Lanzmanns „Shoah“, Stelenfeldentwurf von Peter Eisenman [4 und 2, FOTOS: AP]; Rudolf Herz’ und Reinhard Matz’ Autobahnprojekt „Überschrieben“ [6, MONTAGE: HANS DÖRING]; Adolf Hitler bei der Einweihung eines Autobahnabschnitts [5, FOTO: DPA]; Kranz zum Jahrestag der Pogrome 1938 [9, FOTO: HENNING LANGENHEIM]