Was bleibt, ist der böse Blick

Pina Bauschs neues, altes Stück „Kontakthof“ im Haus der Berliner Festspiele, mit „Herren und Damen ab 65“

Vor zwanzig Jahren saß ich das erste Mal in diesem Stück. Was oben auf der Bühne passierte, ließ uns in der ersten Reihe schwitzen vor Aufregung. Die 20 Performer, die immer wieder gnadenlos an die Rampe drängten, zogen die Lippen auseinander, kniffen sich in die Wange, zeigten glatte Haut und straffes Fleisch. Der „Kontakthof“ war ein Markt, auf dem die Künstler ihre Rolle mit der vom Menschenhandel im Eroscenter verglichen. Entspannt fühlte man sich nicht gerade, so als Voyeur im Theatersessel festgenagelt.

Heute sind es die dritten Zähne, die an der Rampe wie in einem Spiegel überprüft werden. 22 Jahre nach der Uraufführung 1978 hat das Tanztheater Wuppertal „Kontakthof“ noch einmal einstudiert, diesmal mit „Herren und Damen ab 65“, die sich auf eine Anzeige hin meldeten. Es ist unglaublich, wie genau sie einerseits in die Charaktere der berühmt gewordenen Tänzer des Wuppertaler Ensembles geschlüpft sind und doch andererseits aus dem alten Tanztext eine neue Geschichte hervorbringen.

„Kontakthof“ war ein Angriff auf die soziale Konstruktion von Geschlechterrollen. Wie vorgefertigte Träume und männliche Blicke den weiblichen Körper zurechtkneten, wie triviale Handlungsmuster den Spielraum verengen, wie Kleider zwicken und Stöckelschuhe schmerzen, all das wurde vorgeführt in einem selbstzerstörerischen Training. Ein ungewohnt kalt sezierender Blick in den Leib gesellschaftlicher Regeln und des Beziehungsalltags.

Heute ist aus der gläsernen Schärfe eine zärtliche Komödie geworden, die ihren Protagonisten verzeiht, dass sie sich eingerichtet haben in diesen Mustern. Ja, man bewundert und neidet ihnen gar eine gewisse Bequemlichkeit, mit der sich Stereotype auf den nicht mehr ganz so spannungsvollen Körper gelegt haben. Es ist ja nicht so, als wären mit dem Alter Einsamkeit und Begehren, Eitelkeit und Darstellungssucht überwunden. Wie sie sich gegenseitig kommentieren, das bleibt ein böser Blick. Wie sie sich mit kleinen Gesten verletzen können, das wissen sie noch immer und vielleicht sogar besser. Aber wir fühlen uns nicht mehr angesprochen als zu therapierendes Subjekt, das sich befreien müsste von diesen eingefahrenen Spuren.

Sind das tatsächlich Laien, die nach einem Jahr Training so scheinbar authentisch durch diesen Tanzsaal paradieren? Sie waren um die vierzig, als Pina Bausch ihr Stück mit internationalen Tänzern entwickelte, deren Präsenz alle Darstellungsformen deutscher Tanz- und Theaterbühnen in den Schatten stellte. Man könnte meinen, jetzt tanzten diejenigen das Stück, für die es schon immer gemacht war, die ehemaligen Zuschauer.

Den Körper ewig jung halten zu wollen ist so lächerlich wie die Dauererwartung an das Tanztheater, eine Gattung neu zu erfinden. Und dennoch: Indem Pina Bausch genau das thematisiert, geschieht das Wunder auf der Bühne von neuem. Man sieht ein Stück wie keins zuvor.

KATRIN BETTINA MÜLLER