Götter aus der Dose

Probleme beim Versuch, die Arschlöcher mit Lärm zu töten: Sigue Sigue Sputnik im „Maria“ am Ostbahnhof

Nick Cave sagte mal, dass der Rockmusiker am unteren Ende der bildungsbürgerlichen Werteskala stünde, der Dichter hingegen ganz oben – ein schönes Beispiel für die Wirksamkeit des Klischees vom tumben Rocker.

Caves Kollege Tony James scheint genau das zu sein. Der Kopf der 80ies-Plastic-Punkband Sigue Sigue Sputnik schwadroniert auf seiner Website Sputnikworld.com von Friede, Freude, Eierkuchen im Cyberspace, als hätte er gerade die Love Parade erfunden. Klickt man die Bandgeschichte, Unterabteilung „Contents“ an, erfährt man, dass little Tony sich anno 1995 einen Apple-Computer kaufte und zu surfen begann. Wow, das muss ein Initiationserlebnis gewesen sein! „Information is freedom“, schreibt Tony, denn im Netz erreiche man Menschen, die einem zuhören, denen man seine ganze Kunst und sein ganzes Herz geben kann, und die niemand kontrolliert. Keine Kindergartentante, die kommt und das Licht ausmacht, wenn’s gerade am schönsten ist!

Sigue Sigue Sputnik melden sich gerade zurück aus der New-Wave-Mottenkiste und knüpfen nahtlos an die Mittachtziger an, als die dilettierenden Exzentriker die Presse mit großmäuligen Slogans fütterten, durch geschicktes Imaging bei dem Major EMI einen Plattenvertrag zeichneten und einen Nummer-drei-Hit sowie zwei Alben landen konnten. Am Freitag spielten sie – im Rahmen ihrer kleinen Europatour – im „Maria“ am Ostbahnhof, pünktlich zur Deutschland-Release ihres neuen Albums „Piratespace“. Die selbst ernannten „Gods of Electronic Rock ’n’ Roll“ ließen im gut gefüllten Konzerthaus knapp zwei Stunden auf sich warten, irgendwann hatten die hart aussehenden und brav wartenden Jungs genug von dem Industrialsound aus der Dose und pfiffen die Götter an die Rampe. Sänger Degville und Bassist James sind noch immer spindeldürr und haben die gleichen Zuckerwattefrisuren wie in den „Formel eins“-Videos von 1986, Gitarrist Neal X aber trug einen aufblasbaren blauen Gummi-Cowboyhut, dessen Anblick Madonna sicher mit Neid erfüllt hätte. Fade dagegen präsentierte sich Musik und Bühnenshow 2001: Man gab sich cool im Nebel, spielte die Hits „Love Missile F 1-11“, „21st Century Boy“, „Jayne Mansfield“ und Synthie-Punk-Geschrammel mit Hang zum Stadlhaften. Das mutete altherrenmäßig an, fehlte nur noch, dass sich alle verhaken und miteinander schunkeln. Von Ekstase keine Spur, auf Überraschungen, Innovationen oder Selbstironie wartete man vergebens. Das Publikum, EBM-Szene, Punks und Old Bohème um die dreißig, zeigte unentschlossene Anteilnahme, einige bemühten sich, ihre 30 Mark Eintrittsgeld abzutanzen. Einer im karierten Hemd grölte: „Is geil hier.“

Nick Cave schrieb 1992 in seinem quasi-religiösen Mörderroman „Und die Eselin sah den Engel“ gegen seine Dämonen und das Stigma der Rock-’n’-Roll-Dummheit an. Tony James schreibt im Internet, was Rock ’n’ Roll zu leisten habe: „to kill the fuckers with noise“. Jeder, wie er kann. JANA SITTNICK