„Es ist dein Sieg“

Serena Williams muss ihre Schwester Venus erst daran erinnern, sich über den Finalsieg der US Open zu freuen

NEW YORK taz ■ Als sie hereinkamen, erhoben sich 23.000 Zuschauer von den Sitzen. Venus und Serena Williams grüßten entspannt. Was dieser Abend für sie und die gesamte Familie bedeutete, war nicht schwer zu verstehen. Schwestern im Finale eines großen Turniers – das ist in der Geschichte des modernen Tennis ohne Beispiel, aber dieser Abend hatte sich angekündigt, seit beide vor Jahren die ersten Titel gewonnen haben.

Für sich genommen gab das Finale der US Open 2001 nicht allzu viel her. Serena, die 15 Monate jüngere der Schwestern, preschte zwar los und schoss der Schwester mit einem Aufschlag gleich den Schläger aus der Hand, doch die hatte nach ein paar Minuten alles im Griff. Venus dominierte, wie in vier von fünf Spielen bisher, vom ersten Break zum 3:2 bis zum Ende des Spiels (6:2, 6:4), und wenn sich Serena auch verzweifelt bemühte, eine Wende der Dinge gelang ihr nicht. Nach einer Stunde und neun Minuten war alles vorbei, und wie immer fiel die Freude der Siegerin verhalten aus. „Ich hasse es, Serena verlieren zu sehen“, sagte sie hinterher, „und das gilt auch dann, wenn sie gegen mich verliert.“

Von den letzten sechs Grand-Slam-Turnieren hat Venus Williams vier gewonnen und als Zugabe die Goldmedaille bei der Olympiade in Sydney. Die beiden übrigen Titel des Jahres 2001 (Australien und Paris) schnappte sich Jennifer Capriati. Doch Capriati, die während des ganzen Jahres so fit gewirkt hatte wie niemals zuvor, war im Halbfinale gegen Venus (4:6, 2:6) ebenso chancenlos wie Martina Hingis im anderen gegen Serena (3:6, 2:6). Capriati sagte hinterher, sie habe einfach keine Energie mehr gehabt, um sich zu wehren, und nicht viel anders klang Martina Hingis’ Erklärung. Hätte Capriati das Finale erreicht, wäre Hingis die Nummer eins in der Weltrangliste losgeworden, nun ist der Vorsprung der Schweizerin auf die Amerikanerin auf 133 Punkte geschrumpft.

Venus Williams steht nach wie vor auf Position vier, Serena auf sieben, und das hat einen einfachen Grund: die beiden haben deutlich weniger gespielt als die Konkurrenz. Doch damit soll es nun vorbei sein. Beide haben angekündigt, mehr Turniere zu spielen und indirekt zugegeben, schlecht vorbereitet nach Australien oder Paris gefahren zu sein. Und beide versichern, die Angelegenheit mit der wahren Nummer eins werde sich im nächsten Jahr klären. Venus Williams bestimmt offensichtlich immer dann ein Turnier, wenn sie sich ernsthaft dafür interessiert.

Die größten Probleme haben die Schwestern, wenn sie gegeneinander spielen. Serena meinte zwar nach dem Finale: „Das ist viel leichter geworden, als es am Anfang war. Wir wollen beide gewinnen, denn dafür haben wir 15 Jahre hart gearbeitet. Außerdem: Schwestern sind nun mal Rivalinnen.“ Wer wie Venus und Serena aus einer Familie mit fünf Töchtern stammt, der weiß, wovon er redet, doch dass die Rivalität in diesem Fall ein Ende hat, sobald das Spiel vorüber ist, das war auch diesmal nicht zu übersehen. Serena musste Venus auffordern, sich gefälligst über den Erfolg und den Titel zu freuen. „Es ist dein Sieg“, sagte sie der Schwester bei der Umarmung am Netz, „nimm ihn, er gehört dir. Wenn ich gewonnen hätte, würde er mir gehören.“

Doch so einfach ist die Sache im schwesterlichen Geben und Nehmen nicht. Venus erklärte nach dem Spiel, sie habe immer das Gefühl, die kleine Serena beschützen zu müssen, und deshalb gewinne sie nicht leichten Herzens. An dieses Problem hat Vater Richard vermutlich nicht gedacht, als er seinerzeit beschloss, mit seinen Töchtern die Welt des Tennis auf den Kopf zu stellen und ein reicher Mann zu werden. DORIS HENKEL