nebensachen aus moskau
: Mütterchen Russland und das Patriarchat

Weiberskandal in der Stahlindustrie

Alexej Mordaschow kennt die Sitten seines Landes bestens. Dass gelegentlich mit harten Bandagen gekämpft wird, war für den Stahlbaron nichts Neues. Es gehört zum Geschäft wie S-Klasse, Bodyguards, Rollex und Miezen. Als der 35-jährige Mehrheitseigner einer der einträglichsten russischen Stahlschmieden die einstweilige Verfügung eines Moskauer Bezirksgerichts in den Händen hielt, war er aber dann doch ziemlich geplättet. 32,5 Prozent seiner Aktien am Stahlkocher „Severstal“ in Tscherepowez im russischen Norden hatte das Gericht mit sofortiger Wirkung beschlagnahmt.

Nicht die neidische Konkurrenz aus dem Ural hatte dem Oligarchen den Krieg erklärt, die Attacke ritt seine vor fünf Jahren geschiedene Ehefrau, Jelena Mordaschowa. Sie forderte im Namen des gemeinsamen Sprösslings Ilja (15), was sie für rechtmässig und angemessen hält: 20 Millionen US-Dollar rückwirkend seit der Scheidung.

Zusätzlich forderte sie in der Boulevardzeitung Moskowski Komsomolez in einem offenen Brief, „alle abgelegten Exfrauen von Oligarchen“ auf, sich zusammenzuschließen, um gemeinsame Interessen effektiver zu vertreten. Die öffentliche Aufmerksamkeit war der verlassenen Ehefrau sicher. Nach einem Auftritt vor der Presse tauchte sie jedoch ab. Weder in Tscherepowez noch in Moskau konnten die Anwälte des Räuberbarons die Klägerin angeblich auftreiben. Sie war untergetaucht. Aber warum . . .?

Alexej Mordaschow eilt – wie den meisten Oligarchen, die ihren Besitz auf zweifelhafte Weise erworben haben –, nicht der beste Leumund voraus. Seine Feinde dürften Dutzende zählen. Die Alimente zahlt er zwar vorbildlich – was in Russland nicht selbstverständlich ist, jedoch hat sich sein Reichtum seit dem Auflösungsvertrag der Ehe merklich vermehrt.

Der Spott der Geschäftswelt folgte auf dem Fusse. Ausgerechnet Stahlgigant „Severstal“ – zu deutsch Nordstahl – gerät ins Wanken. Doch halt! So richtig auskosten konnten die Spötter die Schadenfreude nicht. Bald dämmerte den Krisengewinnlern, ein Präzedenzfall könnte geschaffen werden, der nachholt, was dem Kreml unter Boris Jelzin nicht gelingen wollte: den Einfluss des Kapitals zu beschneiden und die Beute allzu dreister Raubzüge neu zu verteilen. Sollten es wieder Russlands Frauen sein, die Fehlentwicklungen richten? Die Zeitung Nesawissimaja Gaseta sieht mit dem „Weiber-Skandal“ bereits einen Aufstand der Frauen heraufziehen, der das Land in Turbulenzen stürzt. „Die Aufteilung des Familienbesitzes droht zu einer Umverteilung des Eigentums zu führen“, orakelt das Blatt und fragt vorsichtig: „Wer ist der Nächste?“ Andrej Klementjew, Kandidat für den Gouverneursposten von Nischni Nowgorod, hat es schon hinter sich. Seine Verflossene verklagte am Vorabend der Wahlen den ausgerissenen Ehemann und verlangte wegen psychischer Demenz ein psychiatrisches Gutachten. Das Gericht lehnte ab, die Presse griff es auf, Klementjew fiel durch.

Eigentlich müssten Ehefrauen und Mätressen froh sein, dem Druck der Magnaten zu entkommen. Soziologische Umfragen belegen, dass sich die Damen weder in ihrem goldenen Käfig noch in ihrer gepflegten Haut wohlfühlen. Sie sind zweieinhalb Mal häufiger Opfer von Gewalt als andere Frauen. Mangelnde Zuwendung zwingt sie zudem in 76 Prozent der Fälle, einen festbestallten Tröster zu halten. Auch das übertrifft den Mittelwert ums Dreifache.

Frau Mordaschowa stellt ihren Kreuzzug als einen Akt emanzipatorischer Selbstbehauptung dar. So weit ist Mütterchen Russland aber noch nicht. Ohne Rückhalt kräftiger Patriarchen hätten weder Gericht noch Presse der angehenden Millionärin Aufmerksamkeit geschenkt. Kaum waren die Aktien beschlagnahmt, meldete Konkurrent UGKM, die Hütten- und Bergbaugesellschaft Ural, Interesse an dem Aktienpaket an. KLAUS-HELGE DONATH