Sammeln für den Einsatz danach


Käme es erneut zu Kämpfen, „kämpfen die Albaner um Territorium, die Mazedonier um ihre Existenz“

aus Skopje BETTINA GAUS

Nun endlich darf auch die Bundeswehr beim Waffensammeln helfen. Da die deutschen Truppen ein bisschen später als die anderen Nato-Partner zur Operation „Essential Harvest“ stießen, waren sie bei der ersten Runde nicht dabei. Dafür sind sie mit umso eindrucksvollerem Gerät gekommen: Als einzige ausländische Nation kann Deutschland seine Soldaten in Mazedonien in Kampfpanzer und Schützenpanzer setzen.

Mit Zwischenfällen in den nächsten Tagen rechnet allerdings kaum jemand. Aber die gepanzerten Fahrzeuge könnten sich ja auch später noch als nützlich erweisen – bei einer möglichen Folgeoperation. Denn die politische Diskussion ist längst einen Schritt weiter: bei der Frage, was denn geschehen soll, nachdem einige Waffen albanischer Rebellen eingesammelt wurden. Die Musik spielt nicht mehr bei den Erntehelfern.

Aber wo spielt sie eigentlich? Die mazedonische Hauptstadt Skopje bietet ein so freundliches Bild, dass alle Meldungen über drohenden Krieg aus einer anderen Welt zu stammen scheinen. Liebespärchen genießen die letzten warmen Abende im Stadtpark. In Gartenlokalen wird Volksmusik gespielt. Jugendliche drängen sich in überfüllten Diskotheken. 40 Prozent Arbeitslosigkeit? Zu sehen ist davon nichts. Zu sehen sind auch keine Waffen.

Aber der friedliche Eindruck trügt. Mehrere Bomben sind in den letzten Tagen in Wohnvierteln explodiert. Sie sollten offenbar nicht töten, sondern Angst und Schrecken verbreiten. Als Urheber der Anschläge werden mazedonische Paramilitärs vermutet. Die Hoffnung, eigene Ziele mit Gewalt durchsetzen zu können, scheint nicht mehr auf albanische Rebellen beschränkt zu sein.

Oder werden derartige Berichte lediglich von interessierter Seite gestreut und entbehren jeder realen Grundlage? An einer Tankstelle entlang der 45 Kilometer langen Straße von Skopje nach Tetovo halten einige Männer vorüberfahrende Autos an und kontrollieren die Papiere der Insassen. Sie tragen Gewehre und sind wie Soldaten gekleidet. „Polizei“, sagt der Taxifahrer, und fügt hinzu: „Eine Art Volkspolizei. Also ganz normale Leute, die für Sicherheit sorgen. Reservisten.“ Sind das die Leute, die von der Nato seit der letzten Woche öffentlich als „Paramilitärs“ bezeichnet werden? OSZE-Beobachter gehen „nach bisherigem Kenntnisstand“ davon aus, „dass es sich um legale Einheiten handelt“. Der Taxifahrer fasst Vertrauen zum Fahrgast und findet auf dem Rückweg noch ein anderes Wort für die Männer in Uniform: „Banditen“.

Fest steht: Die Männer an der Tankstelle sind nicht in die etablierten, staatlichen Hierarchien eingebunden. Alles andere ist eine Frage der Perspektive, der Wortwahl und des Tonfalls. Wie so vieles hier. Die Definition der Nato-Operation beispielsweise. Als Politiker dafür noch um Zustimmung warben, schien es ihnen ganz recht zu sein, wenn öffentlich von einer „Entwaffnungsaktion“ gesprochen wurde. Seit klar ist, dass die albanischen Rebellen den weitaus größten Teil ihres militärischen Geräts auch weiterhin behalten werden, hören die Verantwortlichen dieses Wort nicht mehr so gerne.

Jetzt wird ausdrücklich betont, der Auftrag bestehe ausschließlich darin, freiwillig abgegebene Waffen einzusammeln. Eine Sammelaktion sei das also. Das klingt nun allerdings nicht besonders zukunftsweisend, eher nach Altkleidern. Deshalb spricht Nato-Sprecher Mark Laity davon, dass es darum gehe, „das Gewehr aus der Politik zu nehmen“. Was für die Weltpresse ein hübsches Zitat ist, lässt mazedonische Gesprächspartner ratlos, ob sie nun eher am Verstand oder eher an der Glaubwürdigkeit der Nato zweifeln sollen. Internationale Beobachter, Militärs und Diplomaten scheinen einfach nicht dieselbe Sprache zu sprechen wie die Bevölkerung von Mazedonien. Die Ausländer werden nicht müde zu betonen, dass sie eine Botschaft haben und dass diese Botschaft verstanden werden müsse. Es gehe darum, den Friedensprozess voranzutreiben. Dann formulieren sie sehr genau und im wörtlichen Sinne völlig unangreifbar. Und niemand glaubt ihnen.

Er wolle Spekulationen über die künftige Rolle der Operation „Essential Harvest“ eindeutig entgegentreten, sagt Mark Laity. „Lassen Sie mich eines klarstellen: Sie hat keine künftige Rolle. Wenn unsere Mission beendet ist, gehen wir. Nicht mehr, nicht weniger.“ Formal hat der Nato-Sprecher natürlich Recht. Jeder Anschlusseinsatz benötigte ein neues Mandat, und die daran beteiligten Soldaten wären dann eben nicht mehr Teil von „Essential Harvest“.

Aber die meisten Mazedonier interessieren sich nicht besonders für die filigranen Einzelheiten des Nato-Protokolls. Sie möchten einfach gerne wissen, ob ausländische Militärs über den für „Essential Harvest“ vorgesehenen Zeitraum von 30 Tagen hinaus im Lande bleiben werden – und ob diese Soldaten dann ein Mandat der UNO haben, weiterhin dem Oberbefehl der Nato unterstehen oder vielleicht – dritte Variante – eine EU-Truppe sind. Dazu hat Mark Laity nichts gesagt. Wie sollte er auch? Er weiß es ja nicht.

Niemand weiß es derzeit. Die meisten Ausländer und Einheimischen stimmen immerhin darin überein, dass ein „Sicherheitsvakuum“ nach dem Ende von „Essential Harvest“ für das Land gefährlich wäre. Damit enden die Gemeinsamkeiten dann allerdings auch. Die Regierung möchte unter allen Umständen den Eindruck vermeiden, Mazedonien werde zu einem Protektorat. Ihr wäre ein UN-Einsatz lieber als eine Folgemission der Nato.

Den albanischen Rebellen nicht. Sie halten die Vereinigten Staaten für ihre Verbündeten und misstrauen jeder Lösung, die es den USA erlaubte, sich herauszuhalten. Dass US-Soldaten sich an einem UNO-Einsatz in Mazedonien beteiligten, ist mehr als unwahrscheinlich. Das macht die Lage auch für die europäischen Nato-Partner nicht einfacher: Washington wäre jeder Verantwortung ledig und könnte einen Misserfolg nach bewährter Manier wieder einmal an der Tür der Vereinten Nationen abladen.

Auch im Rahmen einer UN-Mission müsste irgendjemand federführend sein. Wenn denn ohnehin europäische Mächte wie Großbritannien und Deutschland den Einsatz leiteten, wäre es dann nicht sinnvoller, gleich eine EU-Truppe in Marsch zu setzen? „Zu früh“, sagt der deutsche Verteidigungsminister Rudolf Scharping knapp. Der militärische Integrationsprozess auf europäischer Ebene ist bei weitem noch nicht abgeschlossen. Die Diskussionen gehen weiter.

Unterdessen sind die Gräben zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen in Mazedonien unverändert tief. Dabei kommen Leute, die auf verschiedenen Seiten der Barrikade stehen, gelegentlich zu erstaunlich gleichlautenden Analysen. Sie wollen damit aber jeweils ganz unterschiedliche Dinge beweisen. „Vor sechs Monaten unterstützten zehn Prozent der albanischen Bevölkerung die Kämpfer. Heute sind es 90 Prozent“, sagt ein älterer Albaner, der in Tetovo wohnt. Ein 27-jähriger Mazedonier, der ebenfalls hier lebt, sieht das ähnlich: „Im Lauf der Zeit haben sich immer mehr Albaner auf die Seite der UÇK geschlagen.“ Der eine sieht in der Entwicklung einen Beweis dafür, dass der albanische Kampf einer gerechten Sache dient, der andere untermauert damit seine Überzeugung, dass die mazedonischen Streitkräfte die Sache ausfechten müssen.

Der mazedonischen Regierung wäre ein Einsatz der UNO lieber als eine Folgemission der Nato

Es ist nicht anzunehmen, dass beide Männer einander jemals zufällig beim Bier treffen. In Tetovo ist die albanische Bevölkerung in der Mehrheit. Die Stadt ist streng geteilt: „Die Straße da runter gehört den Albanern“, sagt der Mazedonier. „Die beiden Querstraßen hier sind unsere.“ Die kleinen Restaurants und Bars sind in beiden Reservaten gleichermaßen gut besetzt. Wer derzeit Freunde treffen will, muss jede Gelegenheit nutzen. Um neun Uhr abends beginnt die Ausgangssperre. Viele Mazedonier wagen sich seit Monaten nicht mehr in die äußeren Stadtbezirke. Sie haben Angst davor, von albanischen Rebellen entführt zu werden. Das passiert hier immer häufiger.

Wer verfolgt hier welches Interesse? „Was jetzt passiert, ist kein innerethnischer Konflikt“, sagt der Theaterregisseur Vladimir Milcin. „Wenn das hier wirklich ein ethnischer Konflikt wäre, dann hätten wir längst Krieg.“ Um die Ereignisse zu verstehen, müsse man die Kriminalisierung der Region berücksichtigen. Milcin meint damit nicht nur kriminelle Aktivitäten der albanischen Rebellen wie Waffenhandel und Drogenschmuggel, sondern auch korrupte Teile der mazedonischen Regierung, deren letzte Hoffnung auf Machterhalt im Krieg liege. „Die meisten Bürger dieses Landes haben einfach Angst. Sie sind zwischen den Extremisten beider Seiten eingezwängt.“

Wer am Ende die Oberhand behalten wird, hängt auch davon ab, wer das Wohlwollen des Auslands auf seiner Seite hat. Die Albaner haben in letzter Zeit Punkte gesammelt: „Die sind derzeit einfach berechenbarer“, sagt ein Beobachter. Nato-Offiziere weisen in diesem Zusammenhang gerne darauf hin, dass es für einen albanischen Kämpfer in psychologischer Hinsicht ein ungeheuer einschneidendes Erlebnis sei, seine Waffe abgeben zu müssen, und der reibungslose Verlauf der Operation deshalb um so anerkennenswerter.

Bei dieser Darstellung bleibt allerdings manches ungesagt. Zum Beispiel, dass die Rebellen nach Abschluss der Sammelaktion noch über ziemlich viele Waffen verfügen werden und die Nato immer wieder betont, dass eine vollständige Abriegelung der Grenze zum Kosovo außerhalb ihrer Möglichkeiten liege. Unerwähnt bleibt auch, dass zwar die bisher bekannten albanischen Gruppierungen versprochen haben, den Kampf einzustellen, dass sich aber mittlerweile unter der Abkürzung ANA eine neue Organisation gegründet hat, die eine solche Selbstverpflichtung nicht abgegeben hat.

Einschätzungen hinsichtlich der Stärke von ANA reichen von „nicht mehr als eine Faxmaschine“ über „bedeutende Splittergruppe“ bis hin zu „Sammelbecken der Rebellenkommandeure“. Um die ohnehin angespannte Stimmung weiter anzuheizen, ist ANA in jedem Falle stark genug: Die Sorge, dass neue Kämpfe weitere Zugeständnisse erzwingen könnten, treibt auch manche derjenigen um, die es durchaus begrüßen, dass die Rechte der albanischen Minderheit jetzt gestärkt werden.

Der Einsatz von Gewalt zahlt sich aus: Diese Lehre haben viele aus den Ereignissen der letzten Monate gezogen. Es ist eine gefährliche Lehre. Die meisten ausländischen Beobachter sind sich mit vielen Albanern und Mazedoniern in einer Befürchtung einig: Wenn die Kämpfe jetzt noch einmal aufflammen, dann werden sich im Vergleich dazu alle bisherigen Gefechte ausnehmen wie eine Rangelei im Kindergarten. „Dann kämpfen die Albaner um die Loslösung vom mazedonischen Staat, also um Territorium, und die Mazedonier um ihre Existenz“, sagt ein Diplomat.