Hoffnung auf demokratischen Frühling enttäuscht

Die Verhaftung syrischer Kritiker überrascht viele. Doch für Wirtschaftsreformen braucht Staatschef al-Assad die Unterstützung der alten Garde

BERLIN taz ■ Die Verhaftungswelle gegen Kritiker des syrischen Regimes enttäuscht viele Hoffnungen, die in Baschar al-Assad nach dem Tode seines Vater Hafiz al-Assad gesetzt wurden. Er galt als Symbol eines demokratischen Frühlings in Syrien, der nun von ihm selber auf Eis gelegt wurde.

Fünf Angehörige der Menschenrechtsbewegung wurden am Sonntag festgenommen. Zuvor waren bereits der ehemalige Kommunistenführer Riad al Turk, die unabhängigen Parlamentarier Riad Seif und Maamun al Homsi inhaftiert worden. Ihnen wird vorgeworfen, die Regierung zu beleidigen und einen demokratischen Dialog durch ständige Kritik der Vergangenheit zu verhindern. Dies nahm die Regierung auch für eine Warnung an Kritiker des Regimes zum Anlass. Sie sollten sich nicht außerhalb der Verfassung des Landes stellen und nicht die nationale Einheit angreifen.

Diese repressive Entwicklung in Syrien überrascht viele, vor allem im Ausland. Nach der jahrzehntelangen Herrschaft seines Vaters schien mit dessen Tode nicht nur ein Machtwechsel, sondern auch ein Politikwechsel bevorzustehen. Diese Hoffnungen gründeten sich unter anderem auf den zivilen Hintergrund von Baschar al-Assad. Er steht für eine neue junge, gebildete und technologiefreundliche Generation im arabisch-islamischen Raum, die im Ausland studiert hat. Viele Syrer erwarteten von dem Vorsitzenden der Syrischen Computergesellschaft nichts weniger als eine syrische Technologierevolution und eine Verbesserung der wirtschaftlichen Lage. Ein schweres Erbe für jemanden, der seine Macht erst noch sichern muss. Ebendiese doppelte Aufgabenstellung – Machtsicherung und Reform der Wirtschaft – bildet den Hintergrund der neuen Verhaftungswelle.

Die Herausforderungen an die Wirtschaft in Syrien sind enorm. Die Bevölkerungswachstumsrate liegt bei 3 Prozent, wobei bereits 45 Prozent der Bevölkerung unter 15 Jahre alt sind. In Zukunft werden somit mindestens 200.000 neue Arbeitssuchende jährlich auf den Arbeitsmarkt drängen.

Unterdessen sieht sich Syrien der Gefahr sinkender Erdölpreise und erschöpfter Erdölquellen ausgesetzt, von denen etwa 40 Prozent der staatlichen Einnahmen abhängen. Sieht man dies im Zusammenhang mit den abnehmenden Sozialausgaben und der wirtschaftlichen Stagnation, so wird deutlich, wie groß der Reformbedarf ist.

Um dies zu bewältigen, muss Baschar al-Assad fest im Sattel der Macht sitzen. Er braucht die Unterstützung der syrischen Eliten, um unter Umständen schmerzhafte wirtschaftliche Reformen durchsetzen zu können. Zu ihnen gehört auch die so genannte alte Garde. Sie besteht zumeist aus alten Weggefährten seines Vaters, die vom jetzigen System profitieren. Ihre Basis ist im öffentlichen Sektor, der Bürokratie und in den Gewerkschaften verankert. Der neue Präsident braucht ihr Wissen, ihre Klientel und ihre Loyalität, um die wirtschaftliche Krise ohne Machtverlust zu überstehen.

Deswegen toleriert er auch die beliebten privaten Debattierklubs einiger Kritiker und deren Äußerungen nicht. Denn in den Clubs wird teilweise vor hunderten von Zuhörern das herrschende System in Frage gestellt, von dem die alte Garde und der Assad-Clan profitieren. Wirtschaftliche Reformen sind möglich, aber eine Veränderung des Systems geht ihnen zu weit. Mindestens so lange wie al-Assad die alte Garde für die Sicherung seiner Macht braucht, sind kaum demokratische, über die Wirtschaft hinausgehende Reformen zu erwarten. CARMEN BECKER