Behler modelt ihre Schulen um

NRWs Bildungsministerin Behler ermöglicht 300 Schulen, vieles anders zu machen: Der Unterricht wird neu getaktet, Lernprojekte veranstaltet, Lehrer selbst ausgewählt

DÜSSELDORF taz ■ Model: von lat. modulus (Maß), 1. Hohlform. Zum Glück hat das Model später noch ein „l“ erhalten und ist nun im Sinne von Versuch ein prima Instrument der Bildungspolitik. In Modellprojekten erprobt die nordrhein-westfälische Bildungsministerin Gabriele Behler (SPD) seit langem ihre Reformen. Nach „Schule 21“ oder „Schule & Co“ hat Behler jetzt ein neues Megaprojekt gestartet, die „Selbstständige Schule“. 300 Modellschulen sollen frei entscheiden können, welche Lehrer sie einstellen, wofür sie ihre Sachmittel verwenden und wie sie ihren Unterricht gestalten.

NRWs Lehranstalten könnten künftig so ähnlich agieren wie die berühmte Bielefelder Laborschule oder die noch bekanntere freie Schule Summerhill. Der 45-Minuten Rhythmus der Unterrichtsstunden kann aufgehoben werden, die Kids können sich in Projekten mehrere Tage mit einem Thema beschäftigen. Auch die Klassengröße ist nicht mehr verbindlich. Kleine Lerngruppen sind ebenso möglich wie stufenübergreifender Unterricht à la Montessori. Und die Kollegien und Eltern dürfen bei der Auswahl neuer Lehrer mitbestimmen. Eingestellt wird nur, wer das nötige Engagement mitbringt, nicht wer aus einer Mischung von Examensnoten und Beamtenstatistik der Schule von oben zugeordnet wird.

Die Modellschulen haben in einer Versuchsphase sechs Jahre Zeit, autonomer und unbürokratischer über ihre Angelegenheiten zu bestimmen. „Die Entscheidungen sollen dort getroffen werden, wo sie sich auswirken, in der Schule selbst“, verspricht Ministerin Behler. Für die Umsetzung stellt sie ab 2002 jährlich einen „Innovationsfonds“ von drei Millionen Mark zur Verfügung. Eine halbe Lehrerstelle gibt sie den Kollegien zur Unterstützung dazu.

Selbstverwaltung bedeutet für die Pauker nämlich zunächst mehr Arbeit: Die Pädgogen müssen zum Beispiel Finanz- und Personalmanagement lernen. Welche Vorteile die neue Freiheit etwa bei der Sachmittelverwaltung haben könnte, erklärt Direktor Gerhard Löw des Lise-Meitner-Gymnasiums aus Leverkusen: „Wir haben durch sinnvolles Einsparen bei Heizung, Strom und Warmwasser unsere Energiekosten um gut ein Drittel gesenkt.“ 333.000 Mark jährlich zahlte die Schule zuvor. Von dem ersparten Drittel durfte das Gymnasium aber nur 35.000 Mark behalten – den Rest behielt die Schulbehörde. „Würden wir die Sachmittel selbstständig bewirtschaften, hätten wir jetzt 115.000 Mark“, rechnet Löw vor.

Löws Schule nimmt am Projekt „Schule & Co“ teil, in dem 54 Modellschulen Finanzautonomie sowie Eigenverantwortung in Zusammenarbeit mit der Wirtschaft üben. Die Ministerin drückt derweil aufs Tempo und hat flugs das neue Selbstständigkeitsmodell initiiert, das auf den Ergebnissen des noch nicht abgeschlossenen Projekts „Schule & Co“ aufbauen soll. Mit ins Boot für beide Projekte hat Behler sich die Experten der Modelle geholt: die Bertelsmann-Stiftung. „Durch unsere 180 Modellprojekte haben wir große Kompetenzen in der Schulreformarbeit“, betont Gunter Thielen, Vorsitzender der Geschäftsleitung der Bertelsmann-Stiftung. Mit jährlich einer Millionen Mark will die Stiftung aus Gütersloh das Projekt „Selbstständige Schule“ unterstützen und es bei der Evaluation begleiten.

Die nordrhein-westfälische CDU kanzelt die Schulmodelle als einzelne „Leuchtturmprojekte“ ab, die die Lage nicht verbessern würden. Hinter Behlers Projekten verbirgt sich allerdings mehr, nämlich ein politisches Kalkül für Gesetzesänderungen. Behler kann heute, selbst wenn sie es wollte, staatlich regulierte Schulen nicht einfach zu kleinen Summerhills machen – dem steht das Gesetz entgegen. Modellversuche unterliegen da anderen Bestimmungen. Mit den 300 selbstständigen Schulen verschafft sich die Ministerin eine argumentative Basis für neue Gesetze: „Wir wollen in Bereichen Erfahrungen sammeln, die einen erweiterten Rechtsrahmen erforderlich machen.“

Protest gegen den Modellversuch hat auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft angemeldet. Es sei nicht notwendig, im Zuge des Versuchs die Mitbestimmung einzuschränken, kritisiert der nordrhein-westfälische GEW-Landeschef Jürgen Schmitter. Künftig soll allen voran der Schulleiter entscheiden dürfen, welche Lehrer eingestellt werden und wofür das Geld verwendet wird. Ihm zur Seite steht ein Lehrerrat, der, anders als der heutige Personalrat, direkt an der Schule gebildet wird. Behler schmettert die Kritik harsch ab: „Wir sind nicht auf die Unterstützung der GEW angewiesen.“

Die Bewerbungsfrist läuft bis zum 15. November. Ab 2002 sollen dann die Oasen der Freiheit entstehen. Die neue Autonomie gibt es allerdings nicht pauschal. Die Schulen treffen mit der Ministerin Vereinbarungen für Teilbereichsfreiheiten. Erst dann kann eine Schule beantragen, etwa Lehrende für den bilingualen Zweig auszuwählen oder für Informatikunterricht Spezialisten aus dem Nichtschulbereich einzustellen. – Model: von lat. modulus (Maß), ethymologische Wurzel von kommod: angenehm, bequem. ISABELLE SIEMES