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bernd müllender über Plagen Liegewiese statt Liegewagen

In der heißen Düsternis ihrer Nachtzüge entfaltet die Deutsche Bahn ihre schönsten Vorzüge. Eine Sommerbilanz

Seit gut einem Jahr versuche ich in dieser Zeitung in der Serie „Bürger beobachten die Bahn“ (bislang sieben Folgen) von den innovativen Vorzügen und exklusiven Abenteuerangeboten unserer großen deutschen Zugfirma zu schwärmen. Bislang reichte dazu die kleine Form – die „stimme der kritik“. Jetzt müssen wir uns einem dunklen Kapitel erhellend und ausführlicher zuwenden: der Bahn bei Nacht.

Das Reisen in Nachtzügen hat unschätzbare Vorteile: kein lästiges Sonnenlicht, kein Aufenthalt auf düsteren Bahnsteigen, und die oft mäßig anheimelnden Gesichter der Zugbegleitfachkräfte sind durch natürlichen Schattenwurf milde getarnt. Allerdings sind da ein paar störende Kleinigkeiten. Etwa, dass man kaum Schlaf findet. Zum Beispiel, weil die Bahnersleut in ihrem großen Kommunikationsbedürfnis auch nachts um drei per Lautsprecher vom Bahnsteig brüllen müssen: „Vorsicht an Gleis 8, bitte einsteigen, Türen schließen selbsttätig!“ Wer versehentlich eingenickt war, ist jetzt wieder wach, selbsttätig übrigens.

Überhaupt Schlaf. Warum schlafen in einem Liegewagen? Sie heißen ja nicht Schlafwagen. Ich darf mit drei Fallbeispielen belegen, dass das auch gar nicht vorgesehen ist.

Beispiel 1: der schicke Night Liner. Die Zweipersonenkabinen, so eng wie auf einem U-Boot, sind sehr modern und haben sogar Klimaanlage, die auch funktioniert. Nach länglichen Planungen mit der zufälligen Nachtbekanntschaft kann sich jedeR, so einigermaßen Herr/Dame seiner/ihrer Grobmotorik, selbsttätig ins eigene Dösekabuff einfädeln. Sardinen würden den Europäischen Tiergerichtshof anrufen und um ihre Büchsen betteln. Menschen können höchstens meckern, dass der Bahn das Geld für Türen zum Gang fehle. Die Designervorhänge geben dafür bei den regelmäßig vorbeiflanierenden Mitreisenden wieder das Gefühl lautstarker Lebendigkeit im Zug.

Die guten alten Liegewagen, umgebaute D-Zug-Waggons der frühen Nachkriegszeit, bieten die Türen zum Gang – und im Sommer kuschelige Wärme.

Beispiel 2: München Hauptbahnhof, diesen Juni. Die Wagen, „für Sie bereitgestellt“, könnten auch als Schwitzkammern für Saunagänger dienen. „Wir haben sie so bekommen“, sagt der Nachtschaffner, sie hätten wohl den ganzen Sonnentag vorgeglüht auf einem Sonnengleis gestanden. Nun gut. Dafür hockt in unserem Abteil hoch oben in der Ecke über dem Gang ein junger Punk und macht gestenreich „Pssssst!“. Er will uns offenbar schwarz reisend im Nichtschlaf begleiten. Sehr innovativ das, aber bei allem Verständnis für jugendliches Aufbegehrensbedürfnis scheuchen wir ihn raus. Man weiß ja nicht, was passiert, falls man irgendwann doch einschlummert.

Unterhaltsam – auch ohne Punks – sind die langen Debatten mit den Mitreisenden um Fensteröffnung und damit das richtige, aber nie erreichbare Maß zwischen Frischluftzufuhr und dem immensen Fahrtkrach. Jedes Etap-Zimmer ist gegen das rollende Bahnhotel eine Luxussuite, auch preislich. Das ist keine Häme, sondern nüchterne Arithmetik: Bei fast 300 Mark für ein Vierquadratmeter-Sechsbettzimmer liegt der Quadratmeterpreis bei gut 70 Mark pro Nacht. Die teuersten Suiten der Welt, etwa im Siebensterne-Hotelturm von Dubai, kosten 15.000 Dollar die Nacht, meinetwegen auch 150.000, haben dafür aber 400 Quadratmeter. Man rechne selbst. Und: Solche Schnäppchensuiten haben vermutlich eigenes Bad und Klo, auf das man sogar gehen darf, wann man muss – anders als bei den alten Bahnwagen auf ihren langen Bahnhofsaufenthalten.

Beispiel 3: der Nachtzug Basel–Amsterdam. Ende August ist es wieder heiß, wieder sind die Wagen mit Sonnenenergie vorgeheizt. Dafür gibt es diesmal die bis Köln reservierten Plätze nicht. Das niederländische Zugteam meint: „Wohl mal wieder Doppelbuchungen“. Das Frühstück ist bei internationalen Bahnfahrten im Preis inbegriffen, wird aber erst hinter Köln serviert. Pech. Dafür fehlen Deckenbezüge auch vor Köln. War eh zu heiß. Immerhin: Man kann nachts wunderbar tagträumen bei der Bahn, etwa von richtigen Träumen.

Ich bin dann unterwegs umgestiegen, in die normalen Wagen 1. Klasse. Wer fährt da schon nachts?! Aus einem leeren Abteil wurde eine riesige Liegewiese, regelbar klimatisiert und passabel schallisoliert. Es gibt sogar Schlaf inklusive. Das kostet für Bahncard-Inhaber (Freiburg–Köln) 62 Mark extra, mit Bahncard First nur 31. Der Bahnmann lächelt: „Liegewagen? Damit würde ich auch nicht fahren.“

Das 48-Mark-Ticket für den Liegewagen habe ich später, mit Nachweis des Umzugs in die Erste Klasse, zurückgegeben. Stressig wurde nur noch die Sache mit dem Fahrrad beim Aussteigen. Erst ist der Liegewagenbereich mit dem Restgepäck zugeschlossen. Wie rein, wie raus? In Köln Hauptbahnhof (Aufenthalt 3 Minuten) zum Rad sieben Wagen zurück gehechtet. Dort Verladetür verrammelt. Schweiß. Hektik. Ein empörter Schaffnersmann: „Was machen Sie da?“ Doch er hat einen Vierkantschlüssel, um das Rad zu retten. Adrenalin reichlich. Aber danach ist man hellwach. Gute Bahn.

Fragen zu Plagen? kolumne@taz.de

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