Weltmacht ins Herz getroffen

Terrorangriff ungeahnten Ausmaßes auf Manhattan und Washington. Das World Trade Center existiert nicht mehr

von BERND PICKERT

Eine solche Terrorwelle haben die USA noch nie erlebt. Das World Trade Center, seit fast 20 Jahren das herausragende Wahrzeichen New York Citys, existiert nicht mehr. Wenige Minuten vor neun Uhr morgens New Yorker Zeit wurde der Nordturm des knapp 420 Meter hohen World Trade Centers von einem Flugzeug getroffen. Zunächst war von einer kleinen zweimotorigen Maschine die Rede. Flammen schlugen aus dem Turm, Rauch stieg auf. Nur 18 Minuten später konnten Millionen von Zuschauern weltweit bereits live in CNN verfolgen, wie eine zweite Maschine, klar als Düsenmaschine zu erkennen, in den Südturm einschlug. Ein riesiger Feuerball stieg auf. Bei dem Flugzeug soll es sich um eine Boeing 767 der American Airlines handeln, die am Morgen in Boston gestartet war. Maschinen dieses Typs können bis zu 90.000 Liter Treibstoff laden und fassen je nach Ausstattung bis zu 350 Passagiere. Die Maschine, so vermuten die Sicherheitsbehörden, war zuvor entführt worden.

Nur Minuten später wandte sich US-Präsident Bush in Florida an die Nation, sprach von einem „offensichtlichen Terroranschlag“ und kündigte Aufklärung an. Wenige Augenblicke später berichtete CNN von einem weiteren Flugzeug, das im Westflügel des US-Verteidigungsministeriums, dem Pentagon, in Washington eingeschlagen war. Späteren Angaben zufolge soll es sich um einen Jumbo-Jet gehandelt haben.

Auch auf der Mall in Washington, die vom Capitol, dem Sitz des US-Kongresses, in die Innenstadt führt und an der die großen nationalen Museen angesiedelt sind, brenne es, hieß es in der Live-Berichterstattung. Das Pentagon, das Weiße Haus und die New Yorker Börse an der Wall Street und schließlich alle Regierungsgebäude in Washington wurden geschlossen und evakuiert. Alle Flughäfen im gesamten Territorium der USA wurden für den Flugverkehr geschlossen, die in der Luft befindlichen Maschinen nach Kanada umgeleitet. Weltweit wurden Flüge in die USA bis auf weiteres gestrichen. Das US-Verteidigungsministerium rief die höchste nationale Sicherheitsstufe aus. Die Grenze zu Mexiko wurde geschlossen.

Gut zwei Stunden nach dem ersten Anschlag auf das World Trade Center berichteten die Fernsehstationen, eine zweite mutmaßlich gekidnappte Passagiermaschine habe Kurs auf das Pentagon genommen. F-16-Kampfflugzeuge, berichteten Reporter, seien in Richtung der mutmaßlich ankommenden Passagiermaschine aufgestiegen. Die Nachricht wurde später zunächst weder bestätigt noch dementiert.

Sicherheitskräfte blockierten alle Zugänge nach Manhattan, doch die Evakuierung der tausenden Angestellten in den angrenzenden Bürogebäuden kann unmöglich abgeschlossen gewesen sein, als zunächst der Südturm des Gebäudes einstürzte. Wie viele Menschen unter den Trümmern begraben wurden, weiß noch niemand, mit tausenden Toten muss gerechnet werden. Eineinhalb Stunden nach dem Anschlag stürzte der Nordturm komplett in sich zusammen. Wer noch in den Gebäuden war, hatte keine Chance. Riesige Staub- und Rauchwolken breiteten sich in Sekundenschnelle in allen Straßenschluchten aus. Auch Rettungskräfte versuchten in Panik, die angrenzenden Straßenzüge zu verlassen. 40.000 Feuerwehrleute sollen im Einsatz sein. Wie viele Menschen sich noch im World Trade Center befanden, war nicht bekannt, doch besteht aufgrund der frühen Uhrzeit die Hoffnung, dass noch nicht alle Büros voll besetzt waren. Das Gebäude beherbergte mehrere tausend Büroräume. Rund 50.000 Menschen waren hier beschäftigt, und etwa 80.000 Besucher kamen jeden Tag in das 1973 eingeweihte höchste Gebäude New Yorks.