Kopfschütteln über die CIA

Frankreich wundert sich über das völlige Versagen der gut ausgestatteten amerikanischen Geheimdienste

aus Paris DOROTHEA HAHN

„Wir sind alle Amerikaner“, schreibt der Chefredakteur der französischen Tageszeitung Le Monde. „Die Welt hat Angst“, titelt die Boulevardzeitung Le Parisien. Und das Blatt Libération schreibt über das Foto der rauchenden New Yorker Twin Towers auf seiner ersten Seite in schwarzer Schrift: „11 septembre 2001“.

Das Datum wird in die Geschichte eingehen. So viel war den Franzosen am frühen Dienstagnachmittag klar. Die Älteren dachten an den Mord von John F. Kennedy. Das war das letzte Mal, dass sie die USA so verletzlich erlebt haben. Auf ihrem nationalen Territorium zumindest – im Ausland kam bekanntlich später die Niederlage in Vietnam dazu.

Kurz nach 15 Uhr MEZ unterbrachen mehrere französische Radio- und Fernsehsender ihre Programme und begannen mit der Live-Berichterstattung und -Kommentierung der Attentate in den USA, die bis zum späten Abend dauern und erst mit einer mehrminütigen, feierlichen Ansprache von Staatspräsident Jacques Chirac zu Ende gehen sollte. Chirac versicherte die USA der Sympathie und des Mitgefühls seines Volkes und sagte: „Gegen den Terrorismus kann man nur mit entschlossenen und kollektiven Aktionen kämpfen.“

Seit Dienstagabend ist in Frankreich die Aktion „Vigipirates“ – Piratenwache – aktiviert. Wie zu den Zeiten der islamistischen Attentatswelle Mitte der 90er-Jahre patrouillieren wieder schwer bewaffnete Soldaten und Polizisten in kugelsicheren Westen in Flughäfen und Bahnhöfen und ist die Métro erneut mit Aufforderungen zur Wachsamkeit plakatiert. Gestern kamen in Paris die in derartigen Stimmungen üblichen Telefonanrufe wegen unbeaufsichtigter Päckchen hinzu. Der Verkehr auf mehreren Métro-Linien mußten kurzfristig unterbrochen werden.

Die Franzosen erinnern sich jetzt an eine Flugzeugentführung im Dezember 1994 in Algier, die ähnlich brutal hätte ausgehen können. Nach Ansicht der damaligen Pariser Regierung wollten die Entführer die Air-France-Maschine über Paris sprengen. Elitetruppen kamen der Katastrophe mit einer Stürmung der Maschine bei der Zwischenlandung in Marseille zuvor.

Dem Terrorismus, so die gestern vielfach wiederholte Ansicht von juristischen und polizeilichen Experten in Frankreich, könne man nur mit entschlossenem Vorgehen begegnen. Dass die Geheimdienste der USA, die finanziell und personell besser ausgestattet sind als alle anderen der Welt und die die weltweite Kommunikation mit Horchposten überwachen, offenbar nicht die geringste Ahnung von der kommenden Katastrophe hatten, erscheint in Paris vielen als unglaubliches Versagen. „Das muss Konsequenzen haben“, tönte es gestern aus den französischen Medien.

Einer, der seine komplette Karriere auf der Grundlage der Terrorfahndung aufgebaut hat, wollte gestern in Paris nicht ausschließen, dass es einen Zusammenhang zwischen der islamistischen Attentatswelle der 90er-Jahre in Frankreich und der jetzigen Anschläge in den USA gibt. Der Pariser Antiterroruntersuchungsrichter Jean-Louis Bruguière sagte der Wochenzeitung Express, dass er bereits im April von US-amerikanischen Richtern dazu eingeladen war, sie in Seattle über die Verlagerung der islamistischen Netze von Europa nach Kanada – „in die Nähe der US-Grenze“ – zu informieren. Seit vier Jahren, so Bruguière, verlagere sich die militärisch in afghanischen Lagern ausgebildete weltweite Islamistenszene „in Richtung Nordamerika“.

Seit Montag, dem Vortag der Attentate in den USA, ermittelt die Justiz laut der Nachrichtenagentur AP auch über eventuelle Bedrohungen gegen US-Einrichtungen in Frankreich.