: Vom Playboy zum Revolutionär
Der saudi-arabische Islamist Ussama Bin Laden steht im Verdacht, hinter der Anschlagswelle zu stecken
Das hatte sich der Bauunternehmer Muhammad Bin Awdah bin Laden wohl nicht vorgestellt: dass sein Sohn Ussama, der Playboy, zum schwarzen Schaf der Familie werden würde. Muhammad bin Laden war in den Zwanzigerjahren aus dem Südjemen nach Saudi-Arabien emigriert und hatte dort reüssiert: hatte viel Geld verdient und enge Kontakte zum saudischen Herrscherhaus geknüpft. Sein Sohn Ussama, der 1957 geboren wurde, studierte Management und Wirtschaftswissenschaften in Dschiddah und vergnügte sich in Beirut, wie Oberschichtsjugendliche aus der gesamten arabischen Welt. Als dort Mitte der Siebzigerjahre der Bürgerkrieg ausbrach, wurde offenbar auch Bin Laden politisiert, als er in Kontakt mit den verarmten palästinensischen Flüchtlingen im Libanon kam. Ein zweiter Kick war vermutlich die Islamische Revolution im Iran 1979.
Politisch aktiv wurde Ussama Bin Laden dann ab den Achtzigerjahren, als er sich in Afghanistan niederließ, um dort gegen die sowjetische Besatzung zu kämpfen. Unterstützung erhielt er dabei nicht nur aus Saudi-Arabien, sondern auch von der CIA. Gleichzeitig betätigte sich Bin Laden als Reisekader, der in der arabischen Welt Geld für den afghanischen Befreiungskampf sammelte. Die Kontakte, die er dabei knüpfte, sollten ihm später nützlich sein.
Ende der Achtzigerjahre kehrte Bin Laden nach Saudi-Arabien zurück und beteiligte sich an der Gründung einer islamistischen Gruppe im Südjemen. Zu dieser Zeit war klar, dass Bin Laden die Organisation einer möglichst breiten islamischen Bewegung anstrebte, die, im Gegensatz zu panarabischen Bewegungen, auch militante Muslime aus asiatischen Ländern aufnehmen konnte. Mit den Saudis verdarb es sich der Radikale jedoch, als diese nach der Kuweit-Invasion und dem Eingreifen der westlichen Alliierten einem Verbleib westlicher Truppen im Land zustimmten. Bin Laden kritisierte diese Haltung als unmuslimisch und rief zum Widerstand gegen das saudische Herrscherhaus auf. 1992 wurde er ausgewiesen und 1994 seiner saudischen Staatsbürgerschaft enthoben, zumal sich inzwischen andere arabische Regierungen über die Rekrutierungsversuche von Bin Laden in ihrem Land beschwert hatten.
Zwei Jahre lang hielt er sich im Sudan auf, wo in der Zwischenzeit die Islamisten an der Regierung waren, doch aufgrund von Druck seitens der USA wurde er gebeten, das Weite zu suchen. Er richtete sich erneut in Afghanistan ein, wo er seither lebt.
Vermutlich in den Achtzigerjahren hat Bin Laden eine Organisation namens al-Qaida („Die Basis“) gegründet, die seither den Westen und die westlich ausgerichteten arabischen Regierungen das Fürchten lehrt. Wie das Magazin Jane’s Intelligence Review in diesem Sommer feststellte, handelt es sich bei al-Qaida um ein fundamentalistisch-islamisches Netzwerk, das die moderaten islamischen Regime bekämpft und versucht, überall auf der Welt Muslime für eine Verteidigung der Rechte der Muslime zu rekrutieren. Jane’s Intelligence Review zufolge steht Bin Laden an der Spitze der Organisation, gefolgt von mehreren Stellvertretern, die in einer Schura, einem Rat, organisiert sind. In den unterschiedlichen Ländern gibt es offenbar viele parallele Gruppen, was eine Geheimhaltung der Strukturen erleichtert. Aufgrund der breiten Organisation erscheint es der Zeitschrift als wenig wahrscheinlich, dass eine Ausschaltung von Ussama Bin Laden zu ihrer Auflösung führen könnte. Die Zahl der permamenten Kämpfer von al-Qaida wird auf 3.000 bis 5.000 geschätzt, wobei die Organisation jedoch auch auf zahlreiche „Schläfer“ zurückgreifen kann, die bei Bedarf aktiviert werden. Al-Qaida verfügt offenbar außerdem über so genannte operative Zellen, die sich aus Selbstmordattentätern zusammensetzen. Ausgebildet wird ein Großteil der Kämpfer in Afghanistan. Zu al-Qaida gehören vermutlich die GIA in Algerien, die Hamas in Palästina, die Hisbullah im Libanon. Die Organisation finanziert sich vermutlich teilweise aus Bin Ladens vermögen, das auf 300 Millionen Dollar geschätzt wird, durch arabische Geschäftsleute in den Golfstaaten sowie durch sympathisierende Organisationen. Auf ihr Konto gehen vermutlich die Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam 1998, möglicherweise die Bombe vor einer US-Kaserne im saudischen Dahran 1996, die 19 Amerikaner das Leben kostete, sowie der Überfall in Somalia 1993, bei dem 18 US-Soldaten umkamen. Bezüglich der Anschläge in den USA vor zwei Tagen erklärte Bin Laden, er selbst sei es nicht gewesen, aber er sehe darin eine legitime Reaktion auf die Politik der USA. ANTJE BAUER, BERLIN
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