Den „Weltpolizisten“ wird es nicht mehr geben

Kein US-Präsident wird in Zukunft begründen können, warum amerikanische Soldaten Konflikte in anderen Ländern lösen sollen

BERLIN taz ■ Es geschieht nicht oft, dass Menschen rund um den Globus das gleiche spüren: Nach diesem 11. September 2001 ist die Welt eine andere geworden. Wenn nicht in kurzem zeitlichem Abstand weitere Anschläge in den westlichen Metropolen folgen, wird sich das außerhalb der USA wieder legen, der Diskurs über die Verletzlichkeit der modernen Welt wird sich in die Feuilletons verlagern, mögliche Konsequenzen werden in geheime Sicherheitskonzepte Eingang finden. In den USA aber wird das Gefühl bleiben. Und es wird die Politik der letzten verbliebenen Supermacht, der stärksten Militärmacht der Welt, nachhaltig verändern.

Noch ist kein Täter gefunden, noch ist nicht gänzlich auszuschließen, dass es ähnlich wie beim Anschlag des Timothy McVeigh auf das Bundesgebäude in Oklahoma 1995 US-Amerikaner waren, die für den Tod von tausenden von Menschen verantwortlich zeichnen. Doch wenn sich der Verdacht erhärtet oder die These aus Mangel an Alternativen zur Gewissheit stilisiert wird, dass internationaler Terrorismus die Anschläge begangen hat, dann wird es für die Politik der USA ein „vor“ und ein „nach“ diesem 11. September geben. Die Veränderungen werden mehr betreffen als nur eine andere Prioritätensetzung in der Verteidigungsdoktrin, mehr also als etwa die Frage, ob statt des geplanten milliardenschweren Nationalen Raketenabwehrprogramms nun die gleichen Milliarden in die geheimdienstliche Aufklärung gesteckt werden.

Die Anschläge treffen die USA in Zeiten der Regentschaft eines Präsidenten, der das „America First“ zum Maßstab seines Handelns gemacht hat wie kaum einer vor ihm. Ob es die Verhandlungen über das Klimaprotokoll von Kioto sind, die Konkretisierung der Biowaffen-Konvention oder die Ratifizierung des Rom-Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof – die USA klinkten sich aus oder boykottierten die internationalen Bemühungen um Einigung. Wird es hier ein Umdenken geben? Werden die USA ob ihrer Verwundbarkeit stärker den Kompromiss mit den strategischen Verbündeten suchen, den Ausgleich mit potenziellen Gegnern? Es steht zu befürchten, dass das Gegenteil der Fall sein wird. Mehr denn je wird die US-Politik sich darauf ausrichten, die eigenen Interessen kompromisslos und andere gar nicht zu verfechten.

Das wird insbesondere die Rolle der USA im internationalen Krisenmanagement betreffen. Kaum vorstellbar, dass nach den Anschlägen in Washington und New York noch ein US-Präsident begründen könnte, warum sich US-Truppen in internationalen Militärmissionen um die Probleme fremder Völker kümmern sollten. Den verantwortungsbewussten „Weltpolizisten“, den die USA ohnehin nie gern spielen wollten, wird es nicht mehr geben. Denn diese Art von Engagement, von Somalia bis Kosovo, das also nicht mehr, wie noch zu Zeiten des Kalten Krieges, mit taktischen oder strategischen Zielen gegenüber einem ebenbürtigen Gegner zu begründen war, basierte auf dem Vertrauen darin, dass es der militärischen Supermacht nichts anhaben könne, sich Feinde zu schaffen, wenn durch dieses militärische Engagement die Führungsposition in der so genannten westlichen Wertegemeinschaft gestärkt werden könnte. Das ist vorbei.

In den USA selbst mehrten sich gestern die Stimmen, die davor warnten, im Kampf um mehr Sicherheit die bürgerlichen Freiheiten aufzugeben. Außenminister Colin Powell sagte, die USA müssten eine „offene Gesellschaft“ bleiben, alles andere verletze amerikanische Werte. Es ist tatsächlich eine der großen Bewährungsproben. Wer sich erinnert, wie abgeschottet das bundesrepublikanische System unter den im Vergleich zu den Anschlägen vom Dienstag harmlosen Attacken der RAF in den Siebzigerjahren reagierte, kann Schlimmes befürchten – zudem gelassene Besonnenheit nicht eine der Stärken der USA ist, wenn es um die Bekämpfung echter oder vermeintlicher Sicherheitsrisiken geht. Ob George W. Bush, der bislang nicht als ein Präsident aufgefallen ist, der vorsichtige Zwischentöne ausdrücken könnte, in der Krise über sich hinauswächst, muss bezweifelt werden. BERND PICKERT