Umverteilung schafft Frieden

Der Terrorismus hat seine Ursachen auch in der Ausbeutung der Dritten Welt. Die Wirtschaft wurde globalisiert, aber die Politik lokalisiert, meint Ernst-Otto Czempiel

Es ist bemerkenswert, dass in der Zeit des Osloer Friedensprozesses der Terrorismus fast nicht existierte

taz: Herr Czempiel, ist „Krieg“ die richtige Bezeichnung für die Anschläge auf die USA?

Ernst-Otto Czempiel: Ja, von der Größenordnung her war es ein kriegischer Akt. Aber es war eher ein Partisanenkrieg.

Mit Partisanenkrieg verbindet man seit dem Zweiten Weltkrieg massenhaften Widerstand. In den USA waren es aber nur wenige Attentäter.

Das bedeutet nur, dass der Partisanenkrieg in seiner Strategie und Logistik auf die moderne Welt der Globalisierung übertragen wurde. Aber wie der klassische Partisanenkrieg braucht auch der heutige Terrorismus ein Umfeld von Sympathisanten. Dies entsteht aus politischen Gründen wie den Nahostkonflikt und die wöchentliche Bombardierung des Irak durch die USA und die Briten. Terrorismus hat aber auch ökonomische Ursachen wie die Ausbeutung der Dritten Welt. Denn während die Wirtschaft globalisiert wurde, wurde die Politik lokalisiert. Jetzt schlägt die Globalisierung auf die Politik zurück.

Viele empfinden die Täter als Wahnsinnige, als irrationale Extremisten. Sie hingegen scheinen das Vorgehen für höchst rational zu halten.

Ja. Und dies wird ja auch so wahrgenommen. Bei aller Trauer über die tausenden von Toten bewundert alle Welt die Logistik. Und nicht nur die Wahl der Mittel war rational, sondern auch das eigentliche Ziel – die Vergeltung. Dem Westen sollte der Krieg erklärt werden; es war die Botschaft: Ab jetzt wehren wir uns gegen die fortgesetzte Ausbeutung. Zu befürchten ist allerdings, dass die westlichen Politiker in die Interpretationsfalle tappen und auf Gewalt mit Gewalt reagieren, statt auf wirtschaftliche Reformen und Entwicklungspolitik zu setzen.

Was wären die Folgen, wenn sich USA und Nato für einen Vergeltungsschlag entscheiden würden?

Das lässt sich im Kleinformat schon im Nahen Osten besichtigen: Israels Raketenangriffe auf Palästina bringen überhaupt nichts, sondern provozieren immer nur neue Selbstmordattentate. Dies im internationalen Maßstab ist eine schreckliche Perspektive. Es droht nicht der Dritte Weltkrieg, sondern Schlimmeres: die Globalisierung des Terrorismus.

Hat die Nato ihre Funktion verloren?

Jedenfalls sind alle Nato-Konzepte veraltet, denn sie basieren auf dem erkennbaren Feind „von außen“, der etwa mit einem U-Boot angreift. Aber beim Terrorismus kommt der Feind von innen, indem etwa Inlandsflüge plötzlich zu Bomben werden. Die klassischen Ideen von Verteidigung nutzen nichts.

Was empfehlen Sie der Politik?

Angesichts des globalisierten Terrorismus muss man natürlich die Sicherheitsvorkehrungen verbessern – aber vermeiden, dass wir aus unseren Ländern Bunker machen, indem wir die Sicherheit höher bewerten als Freiheit. Entschieden wichtiger ist die Erkenntnis des ehemaligen CIA-Chefs Robert Gates, dass man den Terrorismus nur verhindern kann, indem man seine Ursachen beseitigt.

Wie?

Man muss den Nahostkonflikt lösen, und zwar im Sinne der Madrider Konferenz von 1991, die übrigens Bush, Vater, durchaus weise angeschoben hat. Es ist doch bemerkenswert, dass in der Zeit des Osloer Friedensprozesses der Terrorismus so gut wie nicht existierte. Zudem muss der Irak wieder in die Völkergemeinschaft aufgenommen werden – gegen Kontrollauflagen im Bereich der Massenvernichtungswaffen. Und schließlich: Die Welt muss begreifen, dass nicht Schützenpanzer oder Luftabwehrraketen Sicherheit schaffen – sondern Umverteilung.

Die rot-grüne Koalition hat aber gerade den entwicklungspolitischen Etat gekürzt.

Ein wirklicher Fehler. Die Bundesregierung muss erkennen, dass nur Entwicklungshilfe Sicherheit schaffen kann.

INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN