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Weit verzweigte Suche

„Corps et Voix“ beim Laokoon-Festival auf Kampnagel  ■ Von Karin Liebe

Der Mensch vergisst so schnell. Wie war das damals noch in Ruanda? Die Begriffe Hutu und Tutsi, Bürgerkrieg und Genozid schwirren im Kopf herum. Vielleicht hilft ein Theaterstück aus Ruanda beim Sortieren? Doch Corps et Voix: Paroles Rhizome (Körper und Stimme: Sprach-Rhizom) beim Lao-koon-Festival auf Kampnagel kann und will nicht über Ursachen und Folgen des Völkermords aufklären.

Immerhin animiert das Stück zum Surfen im Internet, man frischt auf und zieht aktuelle Vergleiche: 1994, auf dem Höhepunkt des Bürgerkriegs, als innerhalb von 100 Tagen 800.000 Tutsi und gemäßigte Hutu im Auftrag der Hutu-Regierung niedergemetzelt wurden, war die Reaktion der Weltbevölkerung nur ein leiser Seufzer. Kein Aufschrei wie heute über den Terroranschlag in den USA. Erzählt das Stück vielleicht dann etwas über Fanatismus und Rassismus? Wenn es so einfach wäre. Wie immer ist das Ganze komplex und widersprüchlich. So erzählen die 21 Tänzer, Musiker und Schauspieler vom Le Centre Universitaire des Arts de L'Université Nationale du Rwanda auch nur eine bruchstückhafte Geschichte in neun Kapiteln – vom friedlichen Zusammenleben in einer fernen Vergangenheit über das Säen von Streit und Zwietracht durch Fremde bis zum Regierungsaufruf zum Völkermord an den Tutsi, bis zu systematischer Folter, Vergewaltigung und Ermordung.

Aber damit endet das Stück noch lange nicht. Die Geschichten gehen weiter bis in die Gegenwart und berichten von den Krokodilstränen der Täter, dem Alltag der Überlebenden zwischen Alkohol, Wahnsinn und dem Versuch, Normalität zu gewinnen, und der Trauer über die unzähligen Toten. Eine Menge Stoff für ein Stück, das nicht von ungefähr den Untertitel „Sprach-Rhizom“ trägt. Wer das Wort „Rhizom“ im Lexikon nachschlägt, liest etwas von einem „Wurzelsystem ohne Hauptwurzel“, von nicht kausalem Denken. Wer also nach den großen Fragen von Ursache und Wirkung forscht, gräbt an diesem Theaterabend vergeblich.

Kleine Mosaiksteinchen kann der Zuschauer aber sammeln: Wie der Hass der Regierung auf die Tutsi-Minderheit in der Bevölkerung geschürt wurde, zeigt eine beeindruckende Szene. Vier Männer und eine Frau, durch ihre westliche Kleidung deutlich als Politiker zu erkennen, brüllen Hetzparolen in Megafone. Sie schreien immer lauter, bis Menschen in traditioneller Kleidung kreuz und quer über die Bühne rennen und schließlich bewegungslos auf dem Boden liegen bleiben.

Immer wenn Regisseurin Cécile Cotte die Darsteller ohne Worte agieren lässt, ist das Stück am stärksten. Schlanke Frauen in Wi-ckelröcken wiegen ihre Körper im Takt zur Musik, männliche Krieger stampfen mit rasselnden Fußschellen und wallender Langhaarperü-cke über den Boden. Das wirkt manchmal etwas folkloristisch, ist aber schön anzuschauen und anzuhören. Auch stille Momente wie der Monolog einer älteren, offenbar toten Frau über ihre Vergewaltigung und brutale Ermordung durch einen katholischen Priester berühren.

Doch insgesamt dominiert das Gefühl, nichts verstanden zu haben. Trotzdem: tosender Beifall. Vielleicht stimmt es, was ein Darsteller verkündet: Die Wahrheit liegt entweder auf dem Gipfel des Berges oder am Fuß unter der Erde. So müssen wir ganz tief graben oder den Kopf hoch in die Lüfte heben.

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