Außerhalb der Zeit

Weich: Nach drei Tagen wüster Weltuntergangsstimmung sorgten im WMF DJs aus Israel für andere Wirklichkeiten

Es gibt diese Theorie von den Wurmlöchern, Unregelmäßigkeiten im Raum-Zeit-Kontinuum des Universums, in denen die Zeit rückwärts oder zumindest anders verläuft, und die die bekannten physikalischen Gesetze ad absurdum führen. Ungefähr so stelle ich mir eine solche Zeitkapsel vor: Freundliche Farben umschmeicheln die Augen, flächige Musik strömt ins Ohr, weiche Kissen federn die Glieder ab. Free floating in space and time.

Spekulation, sagen die Bodenständigen unter uns. Doch ich stehe plötzlich mittendrin, nach drei Tagen Hektik und Weltuntergangsstimmung, in einer völlig anderen Realität. „Novalog im WMF“ steht auf dem Flyer, Abschlussparty heißt es, für eine experimentelle deutsch-israelische Ausstellung. Und „israeli dub underground“, Ambient und Downbeat von DJ Yossi und den Dubmasters aus Tel Aviv.

Um mich herum schnattern schöne Menschen fröhlich in Hebräisch, Englisch, Deutsch: „Also, weißt du, ich finde ihre Arbeiten ziemlich komisch“, „That was really a fantastic day“ oder „Hi, Aaron, nice to see you!“ Berlin, Tel Aviv, Uranus, Pluto – überall könnte diese Szene stattfinden – nur passt sie nicht auf diese Welt, auf der seit drei Tagen nichts mehr so ist, wie es einmal war, und es auch, so heißt es, nie mehr so sein wird wie zuvor.

Doch das ist alles weit weg in der raum- und zeitlosen Kapsel WMF. Eine Frau, (ein Alien?) namens VJ Alma lässt ein rotes Herz über Bildschirme flackern, dann Straßenszenen aus New York, darauf in verblassten Farben Menschen mit Siebzigerjahre-Frisuren. Verwirrung – existieren die gezeigten Häuserzeilen noch? Der Raum scheint in einer Zeitschleife gefangen. Wie eine Botschaft aus einer fernen Galaxie gleitet das Wort „Peace“ als Laufband über einen kleinen Fernseher über der Bar (der Kommandozentrale?). „Fuck Fashion“ hat jemand an die Wand gekritzelt – und das mitten im Flaggschiff der schicksten Orte des Universums.

Der Einlass wirkt wie eine Luftschleuse in die Realiät. „Nein, Ussama Bin Laden steht nicht auf der Gästeliste“, versichert der Mann an der Kasse und hält sich für sehr witzig. Draußen ist es kalt und vor der Synagoge stehen doppelt so viele Spacecops wie damals, vor der neuen Zeitrechnung. Eine Platinblonde auf der Oranienburger fragt: „Na, haste Lust . . .?“ Das Wurmloch schließt sich, die Erde hat mich wieder. DANIEL FERSCH