Banges Warten auf die USA

Der Kanzler kann Bushs Entscheidungen kaum beeinflussen. Das wissen die SPD-Abgeordneten: Die Kritiker halten sich zurück

aus Berlin SEVERIN WEILAND

Vor dem Kanzler liegen drei Tischvorlagen. Obenauf die Erklärung des Nato-Rates, mit dem vor wenigen Tagen der Bündnisfall festgestellt wurde. Gerhard Schröder, umringt von Kameras, blättert mit grimmiger Miene in jenen Papieren, die er doch so gut kennt. Ein kurzer Augenblick der Ablenkung vor einer wichtigen Rede im Fraktionssaal.

„Wichtig“ ist in diesen Tagen ein viel benutztes Wort im parlamentarischen Betrieb Berlins. Denn in Krisensituationen wie der jetzigen kommt es mehr denn je auf Psychologie und Fingerspitzengefühl an. Schröder macht seine Sache an diesem Freitagvormittag offenbar gut. Kaum hat ihm der Fraktionschef Peter Struck kurz nach elf Uhr für seine Rede vom Mittwoch im Bundestag gedankt, brandet Applaus auf.

Vorbei scheint in diesem Augenblick die Krise, die die Fraktion noch vor zwei Wochen bei der Mazedonien-Abstimmung erfasst hatte, als 19 ihrer Mitglieder mit Nein votierten. Einer von ihnen, Klaus Barthel, ist an diesem Tag zufrieden. „Die Informationspolitik der Bundesregierung ist bisher sehr offen und sehr souverän“, sagt der Abgeordnete aus Bayern.

Vor der Fraktion, erzählen andere Abgeordnete, habe Schröder eine allgemeine Einschätzung der Lage gegeben. Noch einmal habe der Kanzler klar gemacht, dass die Amerikaner im Gegensatz zu Europa keine Erfahrungen mit kriegerischen Ereignissen auf ihrem Territorium hätten. Dass daher ein Großteil der US-Bürger einen militärischen Gegenschlag befürworte. „Schröder hat deutlich gemacht, dass es nicht allein bei Solidaritätsbezeugungen, bei Blumen und Kränzen bleiben kann“, erzählt eine Abgeordnete. Zugleich habe er davon gewarnt, die Ängste der Menschen zu schüren.

Mit besonderer Aufmerksamkeit registrierten die SPD-Parlamentarier Schröders Ausführungen über die Einbeziehung des Parlaments bei künftigen Entscheidungen. Die Spitzen der Fraktionen würden auf dem Laufenden gehalten, auch über solche Maßnahmen, zu denen eine Zustimmung des Bundestags nicht notwendig sei.

Auch habe der Kanzler die Bereitschaft der USA betont, die Bundesregierung über ihr weiteres Vorgehen zu informieren. „Er hat uns aber auch klar gesagt, dass wir uns nicht allzu große Hoffnungen machen sollten, was seine Möglichkeiten angeht, auf Entscheidungen der US-Regierung einzuwirken“, so die Abgeordnete weiter.

Am Mittwoch kommender Woche will Schröder im Bundestag eine Regierungserklärung abgeben. Konkrete Entscheidungen, etwa zu einer Beteiligung der Bundeswehr bei einem Auslandseinsatz, werden auf der Sitzung nicht erwartet. Doch wer weiß das schon genau? In diesen Tagen verändert sich manchmal stündlich die Ausgangslage.

Den Abgeordneten, selbst führenden Politikern, geht es in diesen Tagen nicht anders als Journalisten und Bürgern: Niemand weiß so recht, wohin die Reise geht. Die Lage ist so unübersichtlich, dass selbst jene Kritiker, die noch vor zwei Wochen laut und vernehmlich den Mazedonien-Einsatz ablehnten, sich merklich zurückhalten. Er habe „noch überhaupt keine Vorstellungen“, wie er sich im Falle einer Beteiligung der Bundeswehr verhalten werde, sagt der Abgeordnete Klaus Barthel. Mazedonien und die jetzige Lage seien „nicht zu vermischen“.

Viele Abgeordnete zeigen sich schlichtweg besorgt, lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Die Berliner SPD-Abgeordnete Ingrid Holzhüter erzählt vor dem Fraktionssaal den Reportern, wie sie als Sechsjährige in Berlin während des Krieges verschüttet wurde. Dass sie Anrufe von besorgten muslimischen Bürgern bekomme, die sie fragten: „Werden wir, wenn es losgeht, eingesackt?“ Politik, das wird an diesem Freitag wieder einmal deutlich, ist eben doch keine technische Angelegenheit.

„Mir ist ganz schlecht“, sagt die Sozialdemokratin Renate Rennebach, die als überzeugte Pazifistin gegen den Einsatz in Mazedonien gestimmt hat. Sie könne mit jenen jungen Menschen mitfühlen, die Angst davor hätten, dass „noch Größeres auf uns zukommt“. Was, das weiß Rennebach nicht. Doch mit ihrem diffusen Gefühl steht sie an diesem Tag nicht allein.