Finnland ist die Rettung

Es ist ein Modell für die Menschheit, ein Stern der Hoffnung. Loblied auf ein Vorbildland

Schon Franz Josef Strauß sehnte seinerzeit die dringende Finnlandisierung der Welt herbei

Beim Blick auf die Videoleinwand meines Stammlokals, auf der sich gerade zum einhundertzwölften Mal an diesem Tag zwei New Yorker Skyscraper in Staubwolken auflösten, fiel’s mir auf oder ein: Finnland! Hoch lebe Finnland! Finnland wäre die Rettung, als Modell und als Vorbildland. Gegen Finnland ist nichts, rein gar nichts zu sagen. Finnland macht es uns vor. Wenn ein Land, dann Finnland! Ein Lob auf Finnland musste endlich ausgesprochen werden.

Um mich herum brummten die üblichen Meinungen aus dem totalitären Scheißfernsehen durcheinander, und ich wusste: Finnland! „Finnland“, sagte ich zu Freund Suppa, „wäre alles Finnland, alles wäre gut. All das, was wir hören und sehen müssen, müssten wir nicht hören und sehen. Stell dir vor, die Welt bestünde aus nichts anderem als Finnland, nichts wäre es mehr mit der ganzen Kacke da.“ Ich sah einen Reporter, hinter dem zwei New Yorker Skyscraper in sich zusammenbrachen, und murmelte: „Finnland.“ – „Wieso das denn?“, fragte Herr Suppa. „Leitbild der Menschheit, Stern der Hoffnung“, knurrte ich, „ein Hoch auf Finnland! Friedfertigkeit und Alkoholismus, sonst nichts.“ Das sei es. Das sei der Ausweg.

Der Finne, erläuterte ich dem Freund, beginne spätestens um halb vier zu trinken. Es war bereits sechs im Lokal. „Auf Wiedersehen, klarer Tag!“, spräche der Finne, wenn er das erste Glas hebe, hatte mir der finnische Soziologe, Musiker und Tangomagister M. A. Numminen mal erklärt, und so sollte es sein. Es sollte überall sein wie unter Finnen.

Die Finnen besitzen ein Land, das recht groß, leer und botanisch gleichförmig ist. Sie haben Platz, sie haben Straßen, sie haben Häuser und viel Nichts. Viel tun sie nicht. Sie fahren von Blockhaus zu Blockhaus, fahren durch Wälder, kehren um und fahren zurück. Zwischen dem Fahren trinken sie in ihren Blockhäusern etwas.

In Finnland gibt „es keine Gastwirtschaften“, schreibt der glühende, weise Finnlandfan Thomas Kapielski in einem schönen und bezeichnend wahr betitelten Text namens „Die Dinge sind in Ordnung“. Es gibt dort außer keinen Wirtschaften auch sonst weithin nichts. Weiterhin schreibt er, dass es zahllose Wälder, Seen und Mückentiere gebe, und es sei ein Vergnügen, durch Finnland zu fahren, „rechts dümpelt mal ein See vorbei, dann links auch hin und wieder einer“. Später tauchen Seen und Wälder auf, „es hat ’ne Menge Gegend hier, mit Seen ab und an“, und „es nadelt unablässig allerorten. Die Birke gilt als Abwechslung.“

„Finnland“, freut sich Kapielski, „das sieht . . . von oben gut aus“, es sieht viel besser aus als zwei einstürzende New Yorker Skyscraper. In Finnland stürzt nie etwas ein. In Finnland bleibt alles, wo es hingehört, es bleibt liegen. Wenn sich etwas bewegt, dann bewegt es sich in der Horizontalen. Eine Bewegung in der Vertikalen ist verpönt. Sauschnelle Rennfahrer (Rallye, Formel eins) hat der Finne, aber er hat keine Himmelsstürmer. Überhaupt leben in Finnland keine Texaner und keine anderen Bomben mit zwei Beinen. Zwischen den Seen und den Wäldern Finnlands sind Menschen verstreut, die einen Klaren oder ein Bier trinken, vielleicht in einer Sauna sitzen und vor sich hin schauen.

Finnland hat das Versprechen der Französischen Revolution eingelöst: Alle Menschen werden müder. Endlose Landschaft, Getränke, ein bisschen Tangotanz und nichts. Irgendeine Stadt existiert wohl, aber sie spielt keine Rolle für irgendetwas. Sie ist dazu da, Steine zu versammeln und einigen Finnen Dächer über dem Kopf zu geben, unter denen sie herumhocken und Flüssigkeiten zu sich nehmen. Manchmal isst man auch.

Finnland, „ein göttliches Wasserplanmodell“ (Kapielski), ist die Chance der Welt. „Die öffentlichen Toiletten“, versichert Kapielski, seien „allesamt picobello!“ Kein Staub, kein Chaos, kein Lärm, kein Ärger. „Im Fernsehen brachten sie zum Glück den halben Tag und die ganze Nacht über stundenlange Waldszenen“, berichtet unser Finnlandkorrespondent. „Sie stellen eine Kamera irgendwo in den Wald, und dann sieht man stundenlang Fichten wachsen“. Da kommt niemand auf Gedanken.

„Finnland ist die Rettung“, sprach ich zu Herrn Suppa. „Das wusste schon Franz Josef Strauß, der die ‚Finnlandisierung der Welt‘ herbeisehnte.“ Herr Suppa antwortete: „Erwähnenswert sind auch die Eskimos.“ – „Ja“, murmelte ich, die Eskimos seien auch nicht zu verachten.

JÜRGEN ROTH