Familientreffen der Saurier

■ 54. Treffen plattdeutscher Literaten zwischen Pragmatismus und Apokalyppse

Es gibt niederdeutsche Literatur, die ohne schenkelklopfenden Humor und vierfache Bauernhochzeiten auskommt. Die AutorInnen dieser, sagen wir: anderen Werke versammeln sich seit 1947 einmal im Jahr im ostniedersächsischen Kurort Bad Bevensen. Im Zentrum des 54. Treffens, das am vergangenen Wochenende stattfand, stand das Drama, zweifelsohne das beliebteste Genre in der Plattdeutsch-Szene.

In „Warksteen“ (Werkstätten) sollten die etwa 60 TeilnehmerInnen zuvor eingesandte Monologe zum Thema „Knick im Leben“ zu kleinen szenischen Stücken umarbeiten.

Die produktive Stimmung in den Arbeitsgruppen nicht nur in diesem Jahr konnte jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Bevensen-Tagung wie die niederdeutsche Literatur überhaupt in einer schwierigen Situation befinden. Die Zahl der Sprecher ist rückläufig, der literarische Nachwuchs rar. Ulf-Thomas Lesle, Geschäftsführer des im Bremer Schnoor ansässigen Instituts für niederdeutsche Sprache, drückt es gehobener aus: Es gebe „Indizes für Irritationen“.

Einer der jüngeren Autoren ist Stephan Greve. Der 38-jährige Drogenberater stellte am Freitag abend sein Theaterstück „Super Power Fit“ vor, aufgeführt von der Jugendgruppe der Niederdeutschen Bühne Preetz aus Schleswig-Holstein. Das Stück handelt von einem jungen Arbeitslosen, der sich von einem Franchise-Unternehmen für Fitness-Studio-Nahrung einen Knebel-Vertrag aufschwatzen lässt und bankrott geht. Die SchauspielerInnen im Alter von 16 bis 22 Jahren sind wie der Autor bis auf eine Ausnahme hochdeutsch aufgewachsen.

„An diesem Stück zeigt sich eine Tendenz und ein Problem. Die jüngeren Autoren schreiben in einer Sprache, die nicht mehr ihre Muttersprache ist. Das verändert den Charakter der Texte“, sagt Jochen Schütt. Er ist noch für sechs Wochen amtierender Wellenchef von Radio Bremen 2 und seit langem zuständig für das niederdeutsche Hörspiel.

Schütt war von 1966 bis1988 regelmäßiger Besucher der Tagung und am Wochenende das erste Mal seit 13 Jahren wieder in Bad Bevensen. Die Atmosphäre erschüttert ihn. „Früher waren wir über 300 Leute, es wurde kontrovers diskutiert, provoziert. Mal abgesehen vom zahlenmäßigen Schwund: Auch die niederdeutsche Szene bleibt von den Entpolitisierungs-tendenzen nicht verschont.“

So spiegelten sich auf den Tagungen in Bad-Bevensen stets die gesamtgesellschaftlichen Verhältnisse wider. Der Nationalsozialismus warf seine Schatten bis in die sechziger Jahre hinein. „Das hier“, so Pastor und Autor Dirk Römmer, „war lange von den Braunen“ dominiert. Dann aber begann die „Motzzeit“. Die 68er hielten Einzug. Die Altvorderen wurden von einer Riege junger Studenten mit ihrer Vergangenheit, vor allem aber ihrem Schweigen konfrontiert. Ein Generationenwechsel bahnte sich an. Die plattdeutsche Literatur erhielt einen qualitativen Schub.

Bremen-2-Chef Schütt war einer der damaligen Rebellen. Doch seine heutige Einschätzung ist „finster“: „Die plattdeutsche Literatur befindet sich im Niedergang.“ Römmer spricht von einem asymp-totischen „Saurier-Phänomen“.

Doch ein Ende der Tagung mochte niemand prophezeien. Bevensen ist schließlich auch ein Familientreffen. Außerdem eint die Teilnehmer, dass sie, wie Römmer sagt, „ein zärtliches Verhältnis zu dieser Sprache“ haben.

Und eine Asymptote zeichnet sich nicht zuletzt dadurch aus, dass sie den Nullpunkt nie wirklich erreicht. Thomas Gebel