american pie
: Zur Rückkehr badet Baseball in Rot, Weiß und Blau

Weit entfernt von Normalität

Sogar der Ball war anders. Er war immer noch rund, aber statt des Logos der Baseball-Liga MLB zierten ihn nun Stars & Stripes. Baseball, der amerikanischste aller amerikanischen Zeitvertreibe, war zurück und gab sich nicht unerwartet sogar noch patriotischer als sonst. 91 Spiele waren seit letzten Dienstag abgesagt worden. So viele wie seit dem Ersten Weltkrieg nicht mehr. Die ersten sechs Begegnungen, die am Montag nun nach einer einwöchigen Pause wieder stattfanden, badeten in einem Meer aus Rot, Weiß und Blau: Fahnen im Publikum, Flaggen aufgemalt aufs Spielfeld und aufgenäht auf Spieler-Mützen und -Trikots.

Zwar wurde allseits eine Rückkehr zur Normalität beschworen: Tatsächlich aber mussten sogar liebgewonnene Traditionen dran glauben. So gehört es seit Jahrzehnten zum feststehenden Ritual in den Stadien, vor dem siebten Inning „Take Me Out To The Ballgame“ zu singen. Vorerst wird die leicht kitschige Liebeserklärung an den Baseball durch „God Bless America“ ersetzt.

Noch ist von Alltag nicht zu sprechen. Die New York Mets verlegten ihr Spiel aus dem heimischen Shea Stadium, das ungefähr zehn Kilometer von dem Ort entfernt ist, an dem das World Trade Center stand, und spielten auswärts bei den Pittsburgh Pirates. Der Grund: Noch wird die Spielstätte der Mets als Ausgangspunkt für die Aufräumarbeiten und Übernachtungsmöglichkeit für Helfer genutzt. „So wie die meisten anderen New Yorker müssen auch wir wieder anfangen zu arbeiten“, sagte der Mets-Star Mike Piazza, „aber die Ereignisse werden für immer in unsere Geschichte eingebrannt bleiben.“

Auch im Stadion der New York Yankees, in direkter Nachbarschaft zu Manhattan, herrschte eine seltsame Stille, weil das Training nicht wie üblich von Musik aus den Lautsprechern beschallt wurde. „Es war ungewöhnlich still in der Umkleidekabine“, erzählte Joe Torre, Chefcoach des amtierenden Meisters, „es ist schon komisch: Schließlich sind wir ein Baseball-Klub, aber niemand sprach über Baseball.“ George Steinbrenner, Besitzer der Yankees und einer der reichsten Männer im US-Sport, hat der Twin Towers Foundation eine Million Dollar überwiesen, auch die Mets wollen eine Million spenden. Viele andere Klubs haben ebenfalls beträchtliche Summen angekündigt. Die Sicherheitsbestimmungen bei den Spielen wurden natürlich verschärft. So war den sonst so picknickfreudigen Fans diesmal nicht erlaubt, Kühlboxen und Rucksäcke mitzubringen; Autos durften nur in einem Mindestabstand von 100 Metern vor den Stadien parken. Das Polizeiaufkommen und private Sicherheitskräfte wurden verstärkt, Drogenhunde waren allgegenwärtig. Trotzdem bleibt die Angst vor Anschlägen. Vor allem bei den Baseball-Profis, die täglich spielen und entsprechend viel reisen müssen, geht die Flugangst um. „Jeder, der nicht an so etwas denken muss, ist verrückt“, sagt Joe Torre, „aber das Leben geht weiter.“ Die Saison wird dafür länger dauern. Liga-Chef Bud Selig will weiterhin 162 Saisonspiele spielen lassen. Deshalb wird die World Series wohl erstmals in ihrer nun 98-jährigen Geschichte erst im November gespielt werden.

Auch die NFL wird am kommenden Wochenende den Spielbetrieb wieder aufnehmen, nachdem man sehr zügig den zweiten Spieltag am letzten Sonntag abgesagt hatte. „Nicht die richtige Entscheidung“, befand Kerry Collins, Quarterback der New York Giants, „sondern die einzig mögliche.“ Die Football-Liga wollte sich nicht noch einmal Pietätlosigkeit vorwerfen lassen wie im November 1963, als man nur 48 Stunden nach dem Attentat auf John F. Kennedy fröhlich einen kompletten Spieltag durchzog. Das Image der NFL war damals für Jahre beschädigt. Dafür nimmt man nun noch nicht absehbare logistische Probleme in Kauf: Ob der Spieltag nachgeholt und stattdessen eine Playoff-Runde gestrichen wird, ist noch nicht entschieden.

Nicht ganz so prompt reagierte der College Football. Dort wollten viele Teams spielen, um trotzig den Willen zur Normalität zu demonstrieren. Erst als die NFL ihren Spieltag ausfallen ließ, zogen auch die Verantwortlichen an den Universitäten nach. Morgen beginnt der College Football wieder mit dem Spiel South Carolina gegen Mississippi State. Die College-Football-Liga SEC hat angekündigt, eine Million Dollar zu spenden, und außerdem vor, Blutspendemöglichkeiten in den Stadien anzubieten. Ob der Football noch lederbraun oder in Rot-Weiß-Blau gehalten sein wird, wurde noch nicht bekannt gegeben. THOMAS WINKLER