Der nette Kerl muss gehen

Nach nur fünf Punkten aus sechs Bundesligapartien endet die Zeit von Frank Pagelsdorf als Cheftrainer des Hamburger SV. Die Krise des Vereins ist freilich auch struktureller Natur

aus Hamburg EBERHARD SPOHD

Die Verantwortlichen des Hamburger SV machten tief betroffene Mienen zum bösen Spiel. „Der Vorstand hat sich mit dieser Trennung menschlich sehr schwer getan“, sagte dessen Vorsitzender Werner Hackmann, nachdem er am Montagabend die Entlassung des Cheftrainers Frank Pagelsdorf verkünden musste. Auch Sportdirektor Holger Hieronymus zeigte sich von der nachdenklichen Seite. Er sei sehr traurig, dass „wir den gemeinsamen Weg nicht mehr fortsetzen können“. Er stellte dem beurlaubten Coach sogar ein positives Arbeitszeugnis aus. Pagelsdorf sei mit dem Auftrag angetreten, eine neue Mannschaft zu formieren, äußerte er sich in einem Interview mit dem Hamburger Abendblatt. „Das hat er geschafft.“

Frank Pagelsdorf ist also ein netter Kerl und ein guter Trainer. Warum, darf man getrost fragen, wurde er dann überhaupt geschasst, noch dazu unter diesen Umständen? In der vergangenen Woche hatte der Vorstand ein Ultimatum gestellt: Sechs Punkte aus den Spielen gegen Mönchengladbach und Bremen waren gefordert, sonst müsse man marktentsprechend reagieren. Nach dem 3:3 am Samstag lautete der Treueschwur des Präsidiums: Pagelsdorf bleibt doch Trainer. Am Montag dann fand die entscheidende Aufsichtsratssitzung statt. Ergebnis: Der Coach wird doch gefeuert. Die im Vertrag festgeschriebene Abfindung von 4,1 Millionen Mark bedurfte noch der Zustimmung des Kontrollgremiums.

Erfolglosigkeit wird Pagelsdorf vorgeworfen, denn in der jungen Bundesliga-Saison hat er aus sechs Spielen erst fünf Punkte holen können. Zu wenig, um sein Versprechen halten zu können, der HSV werde am Ende unter den ersten fünf zu finden sein. Der frühe Rauswurf ist dennoch ein wenig unfair. Denn das Team des HSV trug in den sechs Begegnungen nie die Handschrift des Trainers, sondern war vom Können der Mannschaftsärzte und Physiotherapeuten abhängig. Leistungsträger wie Barbarez oder Cardoso sind verletzt. Auf der anderen Seite ist genau dies die Crux. Aus den Spielern, die Pagelsdorf in seinen gut vier Amtsjahren in den Volkspark geholt hat, ließen sich fast fünf komplette Mannschaften bilden. Darunter waren Fehlverpflichtungen wie Josip Simunic und, absoluter Tiefpunkt, Martin Zafirov. Der Bulgare absolvierte zwei Spiele, sah die Rote Karte und musste den Verein nach vier Wochen wieder verlassen. Andere Verpflichtungen wie der tschechische Nationalspieler Milan Fukal oder der aus Schottland zurückgekehrte Jörg Albertz – mit zehn Millionen Mark Ablöse teuerster HSV-Einkauf aller Zeiten – brachten bislang noch nicht die Leistung, die man von ihnen erwartete. Nicht zuletzt auch weil er immer wieder Leistungsträger wie Hasan Salihamidzic, Nico Kovac oder Jörg Butt ziehen lassen musste, ist es Pagelsdorf nie über einen längeren Zeitraum gelungen, ein harmonierendes Team zusammenzustellen.

Doch die Krise des HSV ist eine strukturelle. Nach dem Einzug in die Champions League in der vergangenen Spielzeit war für die Hanseaten die Zeit reif, endlich wieder im Konzert der Großen mitzuspielen. Dass im Volkspark das erste Stadion einer neuen Generation von Fußball-Arenen in Deutschland gebaut wurde, tat ein Übriges: Da musste sich doch der Erfolg von alleine einstellen.

Zu lange wurde die Wahrheit verdrängt: dass das Team einige Monate am oberen Limit spielte, im Grunde aber bis heute zum Mittelmaß und nicht in die Spitzengruppe der Bundesliga gehört. Nun geht die hektische Suche nach einem Nachfolger los. Kevin Keegan, der in der Hochzeit des HSV Ende der Siebziger zu den Publikumslieblingen gehörte, zählt zum engeren Kreis der Kandidaten, ebenso Ivica Osim, derzeit noch bei Sturm Graz unter Vertrag, oder Uwe Rapolder von Waldhof Mannheim, der Kontakte bereits bestätigte. Vorerst jedoch wird Sportdirektor Hieronymus das Training leiten.

Wer auch immer Pagelsdorfs Nachfolger wird, er übernimmt ein schweres Amt. Oder, wie es Pagelsdorf gestern bei seiner Verabschiedung von der Mannschaft formulierte: „Viel Spaß noch mit dem nächsten Ochsen.“