Die Schüler wollen über ihre Ängste reden

Und sie sollten sich auch über die Attentate in den USA austauschen, raten Schulpsychologen. Je nach Alter ist ein anderes Herangehen ratsam

DUISBURG taz ■ In den Fluren einer Duisburger Hauptschule reihen sich Zeitungsausschnitte. Die Bilder des zerstörten World Trade Centers sind mit betroffenen und martialischen Überschriften versehen. In der Bibliothek diskutiert eine Lehrerin mit ihren Schülern über die Folgen des Anschlags. Und über die Angst der 13-Jährigen. Der Gong schlägt zur Pause, doch die Siebtklässler sind so aufgewühlt, dass sie einfach weiterreden. Noch drei Tage nach dem Attentat ist kaum regulärer Unterricht in der Hauptschule möglich.

Die Lehrerin, die den Unterrichtsstoff verschiebt und mit den Kindern über Sorgen und Gefühle redet, handelt nach Ansicht des Duisburger Schulpsychologen Jürgen Mietz genau richtig: „Wie bei allen Katastrophen ist es wichtig, dass die Schüler sich in Gesprächsrunden austauschen können.“ Dabei solle die Frage im Vordergrund stehen, mit welchen Gefühlen die Kinder das Geschehen erleben. Wahrnehmungen und innere Erlebnisse können sehr unterschiedlich sein. Eine Rolle spielen Alter, Schulform und Herkunftsland der Schüler.

Die Oberstufenschüler eines Düsseldorfer Gymnasiums etwa äußerten Befürchtungen, dass auch in Deutschland Anschläge geschehen könnten. „Sie sehen ihr normales Leben in Gefahr“, stellt Lehrer Axel Schwarze fest. Einige Pennäler hätten auch Rache und Vergeltung gefordert. Hier sieht der ausgebildete Supervisor Schwarze eine wichtige Aufgabe für Lehrer – sie sollten den Jugendlichen von einem aufgeklärten Standpunkt aus begegnen. „Wenn man mit Schülern über die Forderung, den Kampf des Guten gegen das Böse zu führen, spricht, kommen sie oft selbst darauf, dass dieses dualistische Denken dem religiös- fundamentalistischen gleicht“, sagt Schware. Bei dieser Erkenntnis fühlten sich viele Schüler unbehaglich. Kein Grund freilich, meint der Religionslehrer, die Aufklärungsarbeit den Oberstuflern nicht zuzumuten.

Während das Gymnasium im gut betuchten Norden Düsseldorfs mit den Gefühlen und Ängsten muslimischer Kinder kaum konfrontiert ist, sieht das an der Montessori-Hauptschule in der Stadtmitte ganz anders aus. Eine Muslimin der 9. Klasse fragte etwa vor den offiziellen Schweigeminuten: „Warum haben wir das nicht gemacht, als das Erdbeben in der Türkei war?“ Lehrerin Ulrike Suhr-Roß reagierte spontan: „Man muss den gleichen Fehler ja nicht nochmal machen.“ Eine Frage, die muslimische Schüler besonders beschäftige, so die Konrektorin, sei auch, wie die Attentäter so etwas tun konnten, Allah höre und sehe das doch.

Anders reagierten Muslime an einem Berufskolleg im Rheinland. Sie riefen am Tag nach dem Anschlag auf dem Schulhof: „Es lebe Ussama Bin Laden.“ Eine Provokation von Pubertierenden? Schulpsychologe Mietz vermutet dahinter eher eine Empfindung der Genugtuung, dass „die Großprotzigkeit des Westens einen Dämpfer bekommen hat“. Es könne für Erniedrigte entlastend wirken, zu sehen, dass die Geächteten und Gedemütigten sich zu Wort meldeten.

Mit anderen Problemen sind die Lehrer im Grundschulbereich konfrontiert. So war sich die Düsseldorferin Christel Anuschewski am Morgen nach dem Anschlag zunächst unsicher, wie sie ihre Schüler auf die Katastrophe ansprechen sollte. Einen Einstieg fand sie dann über die auf halbmast gehisste Flagge auf dem Schulhof, die den Schülern aufgefallen war. Die meisten Viertklässler hatten auch die Fernsehbilder gesehen. „Ich hab gedacht, ich wär im Videofilm“, sagte prompt einer. Eine andere Schülerin meldete sich: „Ich verstehe gar nicht, warum die sich immer zanken müssen.“ Anuschewski redete lange mit den Kleinen. „Ich werde jetzt jeden Morgen fragen, ob sie noch etwas dazu sagen möchten“, hat die Lehrerin sich vorgenommen.

Für den Umgang mit dem Thema in der Grundschule weist Anuschewski noch auf ein anderes problem hin: „Es ist typisch für Kinder, dass ihre Begrifflichkeit noch nicht sehr ausgeprägt ist.“ So würden sie etwa die Fremdworte Tourist und Terrorist verwechseln. Dadurch seien die Kinder zusätzlich verwirrt, meint die Lehrerin. Bestimmte Begriffe sollten ihnen deshalb erklärt werden, damit sie die Klarheit bekämen und einige ihrer Fragen überhaupt erst formulieren könnten. Zudem sollten sich Lehrer und Eltern im Gespräch mit Kindern über die eigenen Ängste im Klaren sein, findet Anuschweski und gibt zu bedenken: „Wir müssen uns auch fragen, welche Teile der Angst von der Gesellschaft beeinflusst sind.“ ISABELLE SIEMES