„Aufbrechen und zugreifen“

Nur ein Versprechen: Das 5. Philosophicum Lech fragt nach der Zukunft des Eros. Doch der Vater aller Dinge, hier ganz konkret des Eros, der Kriegsgott Ares, war auch bei diesem Symposion anwesend

von SABINE LEUCHT

Sehr fremd wirkt der jährliche Philosophensturm in den Lechtaler Alpen, und fremd scheint in diesen Tagen das Thema Erotik zur Weltgeschichte zu stehen. Doch wenn es stimmt, dass der Eros als Sohn des Kriegsgottes Ares und der schaumgeborenen Aphrodite zur Welt kam, dann ist das Reden über den „listigen Gott“ vielleicht eben jetzt und hier genau richtig platziert. Manch einer kann über die Eltern Auskunft geben – einfach durch seine Existenz.

Das fand wohl auch der Tagungsleiter Konrad Paul Liessmann und ließ das fünfte Philosophicum Lech gegen den Trend der Stunde nicht platzen. Pietät scheint fehl am Platz, wenn die Alternative Denken heißt: Nachdenken über den einen Verführer, während die mächtigste Nation der Erde gerade dem anderen zu erliegen droht.

In die Haare geraten

„Denken“, zitierte ein Zuhörer den Weisen Krischnamurti: „Denken ist nicht Liebe“, weil Denken die Dinge trennt. Doch Denken ist ganz sicher auch nicht Hass. Dass sich die Denker dennoch gerne in die Haare geraten, konnte man in den vergangenen vier Tagen im österreichischen Lech so manches Mal erleben. Es ging feuriger zu als in den letzten Jahren, es war mehr Publikum gekommen (und weniger Presse), und es gab kaum Durchhänger im Programm. Die Tagungsleitung war vom Thema sogar so inspiriert, dass sie ganz und gar politisch korrekt die Hälfte der Vorträge von Frauen bestreiten ließ.

Was die weibliche Welt dann aber nun an Männern erotisch findet, das konnte zur Enttäuschung einiger junger (männlicher) Zuhörer dennoch nicht abschließend geklärt werden. Eine Dame aus dem Publikum wünschte sich etwas so Bizarres wie „Kant im Körper von John Travolta“. Und die Züricher Publizistin und Privatdozentin für Philosophie, Ursula Pia Jauch, zitierte einen Satz von Lichtenstein als Beleg für ihre These, dass sich Erotik ganz ohne Berührung im anregenden Gespräch entfaltet. Oder jedenfalls dort, „wo der Sexus nichts mehr zu suchen hat“ und „die Tugend ins Kraut schießt“.

Magic Difference

Jauch, die für ihren so scharfsinnigen wie -züngigen Vortrag über den „Eros im Gehäus“ der Kosten-Nutzen-Logik (im 18. Jahrhundert!) eigentlich zur Königin des Philosophicums gekürt werden sollte, ging ungerechterweise auf den Jenaer Biologen Gustav F. Jirikowski los, der sich von den Unterschieden in der Anatomie des männlichen und weiblichen Hirns zu launigen Spekulationen über das Verhalten hinreißen ließ. So könne man zum Beispiel am Gehirn erkennen, weshalb bei Männern Stress oft zur Sucht wird und bei Frauen zu Depressionen führt. Dazu brachte er anatomische Beweise vor für den alten Spruch, dass Männer besser sehen als denken können. Die Sprache, so Jirikowski, sei dagegen eindeutig die Domäne der Frau, was seine Vorrednerin ja gerade bewiesen hatte. Dennoch sah sie sich gleich als „Exekutorin eines biologischen Programms“ festgenagelt. Die Betonung der „magic difference“ zwischen den Geschlechtern stößt noch immer auf Ablehnung; dabei kann das Erkennen von Grenzen doch auch helfen, die Freiheit anderswo zu suchen. Und die sollte bei immerhin „90 Prozent unkartierter Hirnrinde“ doch immer noch immens sein.

Die wirklich unzumutbaren Festschreibungen unternimmt aber längst nicht mehr die Biologie, sie fallen so en passant im gelehrten Diskurs. So meinte der Essayist Wolfgang Pauser zum wehleidigen Vortrag Anne-Marie Bonnets, deren Thema wohl der Grat zwischen Pornografie und Kunst gewesen sein sollte: „Klagediskurse“ seien ja traditionell Sache der Frau. Der rührige Kommunikationstheoretiker Norbert Bolz hatte die schöne Frau „auf der Flucht vor der Liebe“ (Hannelore Schlaffer, München) als Container erkannt, den man nur „aufbrechen“ muss. Und dann: nichts wie „zugreifen“.

Frauen enttäuschen

Da das Ergebnis dieses Zugriffs aber immer enttäuschend ist, sei es eine Herausforderung für jede Frau, sich diesem Realitätstest zu entziehen. Sexuelle Enthaltsamkeit aus Rücksicht auf die arme männliche Seele, die mit ungeschminkten Gesichtern nicht zurande kommt? Da hatten die Lecher Schneeregen-Tage weit reizvollere Optionen zu bieten. Etwa Mariam Laus unverkrampfte Lehre aus der sexuellen Revolution: Da wir alles dürfen, können wir „privat entscheiden, dass wir nicht alles machen“. Ein kalkulierter Umgang mit den Lüsten, der dem existenziellen Imperativ des „Lebenskünstlers“ Wilhelm Schmid sehr nahe kommt. Schmid nämlich hält es mit Epikur, der riet: „Nicht jede Lust wählen, nicht jeden Schmerz meiden.“

Mit Blick auf die aktuellen Ereignisse allerdings klingt das „Wählen“ und „Meiden“ nachgerade zynisch. So lässt sich nur mit einem Gott verhandeln, der zähmbar ist. Aber eben nicht mit dem Terror, nicht mit dem Krieg, dem Vater des Eros. Ähnelt er nun seinem Sohn, der die Falschheit liebt, das Spiel und asymmetrische Verhältnisse? (Liessmann) Der Blick des Eros geht prinzipiell am anderen vorbei – auf das Bild, das man sich von ihm macht. Seine konkreten Eigenschaften als Person wirken eher störend. Bolz zitierte Bataille, der im Sex „eine Wesensverletzung des Partners“ sah, „die an Mord grenzt“. Bei aller Vorsicht vor unlauteren Analogiebildungen: Werden da nicht eine Menge Assoziationen wach? Man möchte sich wünschen, wenn Ares dem struppigen Sohne gleicht, dass unter den vielen kursierenden Definitionen jene von Rüdiger Safranski die richtigste wäre: „Der Eros ist ein Versprechen, das nicht dazu da ist, erfüllt zu werden.“ Das wäre schön.